Salzburg
Downton Abbey im Hause Almaviva

29.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr

Foto: DK

Salzburg (DK) Was ist nur los im Hause Almaviva? Der Putz bröckelt im Gewächshaus – und doch sind die Wohnräume schick im Stile der 20er eingerichtet. Je weiter das Stück – Mozarts „Le Nozze di Figaro“ – voranschreitet, desto mehr geht es in den Keller und abwärts mit der (Feudal-)Herrschaft. Denn der Graf wildert bei der weiblichen Dienerschaft und ist sich nicht mal zu schade, in einen Kellerschacht zu kriechen, wenn Eifersucht ihn umtreibt.

Dabei werden sogar die Spaghetti kalt und das Glas Rotwein im Weinkeller warm. Ansonsten herrscht viel Einsamkeit im Hause Almaviva: Die Dienerschaft spricht noch nicht mal beim Lunch miteinander, und die Gräfin verbringt den größten Teil des Tages blässlich im Bett. Dass sie gen Schluss traurig ihr eigenes Brautkleid aus dem Keller holt und der Gatte sie noch nicht mal darin erkennt, sondern die vermeintliche Dienerin Susanna als neue Eroberung vermutet, ist eine der kleinen, sehr feinen und sehr wenigen Ideen, die Sven Eric Bechtolfs Salzburger Neuinszenierung zu bieten hat. Ach ja: Da wäre noch der süße Bühnendackel, der Almaviva freudig umwedelt, wenn Herrchen auf die Jagd geht. Das war’s dann auch schon mit Interpretation. Oder sollten wir lieber sagen: Dekoration? Ansonsten inszeniert Bechtolf das Ganze am Stück entlang, zwar richtig, aber ohne größeres Engagement. Und vor allem: Ohne weiterführende Aussage.

Vor zwei Jahren lieferte Bechtolf eine ähnlich uninspirierte „Cosí fan tutte“, im letzten Jahr einen spannenderen „Don Giovanni“, der lustgetrieben im Hotel wilderte. Jetzt schließt er den Da Ponte-Zyklus mit einem „Figaro“, der Sehnsucht erweckt nach der Vorgänger-Trilogie, von Claus Guth so vielschichtig und aussagestark inszeniert.

Was ist nur los mit dem Regietheater? Bechtolf, der doch Salzburger Schauspielchef ist und seit 2014 die künstlerische Gesamtplanung der Festspiele innehat, stellt mit seinem neuen „Figaro“ eine Art „Downton Abbey“ auf die Bühne – Verwicklungsgeschichten mit der Herr- und Dienerschaft in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Hübsch anzusehen, doch in keiner Weise so spannend wie das englische TV-Serienoriginal. Das Beste daran sind die stilsicheren Kostüme (Mark Bouman) und das Bühnenbild (Alex Eales). Stets blickt man in mehrere Zimmer gleichzeitig, anfangs bereitet es sogar Vergnügen, parallelen Handlungen zu folgen: Der Graf links, Figaro und Susanna mittig, das Badezimmer der Gräfin rechts, darüber ein Treppenhaus und Susannas Dienstbotenzimmer. Dann verschiebt sich die Bühne nach rechts und gibt den Blick aufs Schlafzimmer der Gräfin frei, später geht’s nach unten in die riesige, liebevoll ausgestattete Küche mit Weinkeller und Kriechschaft, zum Schluss ins Gewächshaus. Optisch ein Hingucker, wäre das alles stets mit echtem Leben gefüllt.

Doch das Fehlen einer ausgefeilten Personenregie macht auch der Sängerbesetzung das Leben schwer: Kaum eine, kaum einer wird dabei zum echten Charakter, alle bleiben schablonenhaft blass. Am ehesten unternimmt noch Luca Pisaroni als Almaviva den Versuch, stimmlich herauszustechen. Von Masetto über Leporello bis zu Almaviva hat er in Salzburg eine steile Karriere hingelegt – allein, es fehlt seinem eher schlanken Bariton noch der Nuancenreichtum für einen schillernden Verführer. Eine schöne, gut geführte Stimme besitzt auch Anett Fritsch, die eine sehr jugendliche, aber allzu leidende Gräfin ist, die ins stimmliche Format und vor allem in die Bühnenausstrahlung berühmter Vorgängerinnen noch hineinwachsen muss. Rollenkonform mit leichtem, biegsamen Sopran agiert Martina Janková als Susanna und Adam Plachetka bleibt als Figaro mit Ausnahme seiner großen Arie im Schlussakt unerträglich steif. Dass in dieser Inszenierung noch nicht mal Margarita Gritskova in der an sich dankbaren Partie des Cherubino begeistern kann – liegt es nur an der szenischen Langeweile? Mitnichten: Es ist auch das, was die Wiener Philharmoniker unter der Leitung des Mannheimer GMD Dan Ettinger hören bzw. nicht hören lassen. Das ist ein halbwegs ordentlicher Durchschnitts-„Figaro“ – und alles andere als das Mozart-Fest, das man von diesem Orchester, von seinem musikalischen Hausgott und von den Salzburger Festspielen erwartet. Ettinger stoppt genau dann, wenn es explosiv werden könnte, hält sich dezent zurück, wenn Gefühl aufkommt. Selbst das sonst so unnachahmliche Wiener Klangbild klingt unausgewogen und verschattet. So bleibt dieser Abend auch musikalisch insgesamt leider laues Mittelmaß.