Salzburg
Die Wiederkehr der Ring-Ellipse

Zum Abschluss der Salzburger Osterfestspiele 2017: Machen Re-Kreationen Sinn?

18.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:17 Uhr

Salzburg (DK) Haben wir in Sachen "Ring des Nibelungen" schon alles Machbare gesehen? Oder sind wir zu verunsichert, um die Ereignisse der Gegenwart im Gewand von Wagners Tetralogie auf die Bühne stellen zu wollen? Sicher ist: Es gibt viel zu viele Deutungen des "Rings", die sich schnell überholen. Wie die immer noch in Bayreuth aktuelle von Frank Castorf, die in der deutsch-deutschen Vergangenheit wühlt und keine erhellenden Neuansätze mehr bringt.

Aber es gibt auch zeitlose Deutungen, die in ihrer Gültigkeit Jahrzehnte überdauern können. Wie etwa die "Walküre" von 1967, mit der Herbst von Karajan seine neu geschaffenen Salzburger Osterfestspiele eröffnete.

Als bekannt wurde, dass die Osterfestspiele 2017 eine Re-Kreation gerade dieses Meilensteins der Aufführungsgeschichte bringen würden, waren die Reaktionen geteilt. Der Griff in die Retro-Kiste als Kapitulation vor einer Neudeutung? Könnte man meinen. Interessanterweise ist gerade das Gegenteil der Fall. Dazu muss allerdings klargestellt werden, dass lediglich das Bühnenbild des legendären Günther Schneider-Siemssen rekonstruiert wurde: jene bekannte Ring-Ellipse, die im zweiten Aufzug auseinanderbirst und eine Kluft zwischen Wotan und Brünnhilde reißt. Schneider- Siemssens beziehungsreiche, kosmisch bewegte Bilder besitzen noch heute eine zeitlos gültige Aussagekraft fürs Werk und wirken ganz und gar nicht angestaubt. Zumal mit heutiger Licht- und Projektionstechnik gearbeitet wird und auch die Regie von Vera Nemirova sowie die Kostüme (Jens Kilian) komplett neu sind. Kein Theatermuseum mit schweren Umhängen, dicker Schminke und bedeutungsvollem Schreiten also, sondern eine durchdachte Personenführung aus heutiger Sicht. Nemirova durchleuchtet die "Ring"-Personen sehr genau und - wie es scheint - sie liebt sie: Die jugendliche Brünnhilde darf barfuß quer über die Bühne laufen, Wotan treibt es innerlich wie auch auf der Bühne hin und her, Siegmund und Sieglinde finden vorsichtig, aber intensiv zu ihren Gefühlen. Nur Fricka und die Walküren bleiben statuarisch, Sinnbild eines erstarrten Systems. Dass die Personen ein wenig zu häufig frontal dem Publikum zugewandt sind, hat mit der Akustik der überbreiten Salzburger Bühne zu tun.

Kurz gesagt: Wer die Kunstform Oper angesichts einer Re-Kreation wie der aktuellen Salzburger "Walküre", mit deren Aufführung die Festspiele sowohl eröffnet als auch beschlossen wurden, schon totgesagt bzw. eingemottet hat, übersieht, wie interessant es sein kann, einen 50 Jahre alten Raum mit Gedanken aus unserer heutigen Lebenswelt neu aufzuladen. "Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, woher wir kommen", sagt Regisseurin Nemirova - und tatsächlich führt dieser optische Rückgriff die meisten der Festspielbesucher (nicht nur diejenigen, die das "Original" noch gesehen haben) zurück in die höchstpersönliche Wagner-Theatergeschichte. Er macht uns deutlich, woher wir kommen und dass vieles vermeintlich Alte noch heute sehr modern wirken kann - aber auch, wie wir uns selbst geändert haben. Wie das Regietheater unsere Sehgewohnheiten und die verschiedensten Aufführungspraktiken unsere Hörgewohnheiten beeinflusst hat. Und dass Altes und Neues eine spannende Reibungsfläche mit vielen Inspirationen ergeben können.

Gut, dass auch Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden seinen eigenen Klang gefunden hat und nicht dem Karajanschen Ideal nacheifert. Die Walküre von 2017 klingt vor allem in den Streichern extrem wohltönend, setzt klug Akzente und überwältigt immer wieder emotional. Eine Parallele zwischen 1967 und 2017 fällt zudem auf: nämlich dass man hier beiderseits Idealbesetzungen des Werks gefunden hat - diesmal mit Anja Harteros (Sieglinde), Peter Seiffert (Siegmund), Vitalij Kowaljow (Hunding), Anja Kampe (Brünnhilde) und Christa Mayer (Fricka).

Standing Ovations gab es bei der zweiten Aufführung zum Abschluss der Salzburger Osterfestspiele 2017 für ein rundum gelungenes Experiment, das, trotz mancher Kritikermeinung, Zeug dazu hat, Operngeschichte zu schreiben!