Ingolstadt
Regenwurm mit Weißwurstsenf

Philosophisch-komische Theaterclownerei für die ganze Familie: "Dreier steht Kopf" in der Ingolstädter Werkstatt

22.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:59 Uhr
Drei sind einer zuviel: Einer (Olivia Wendt) und Zweier (Michael Amelung) wollen Dreier (Benjamin Dami) nicht mitspielen lassen. −Foto: Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Was sind denn das für schräge Vögel? Koboldrote, feurig-fedrige, pustig-pludrige Sturmfrisuren tragen sie. Mitunter auch eine rote Nase, wenn sie nicht krawattenknotig am Hals sitzt oder vorwitzig auf der Stirn.

Dazu kleinkarierte schwarze Latzhosen und großkarierte beige Mäntel. Überall ein paar gerupfte Federn. Und orangefarbene Schuhe. Sie wohnen in bemalten Bauernschränkchen unter weiß-blauem Himmel. Und ihr Dasein folgt einer strengen Ordnung: Einer ist immer der Erste. Und Zweier immer der Zweite. Bei allem. Beim hier sein und da sein. Beim Grüßen. Beim Klettern. Beim Pfeifen. Das macht auch mal Verdruss. Weil Zweier ja immer der Letzte ist. Und Einer nie "mein Lieber" genannt wird. Als Dreier auftaucht und mitspielen will, bricht das Chaos aus.

"Dreier steht Kopf" hat Carsten Brandau sein Stück für Kinder ab vier Jahren genannt, das am Samstagnachmittag unter der Regie von Julia Mayr in der Werkstatt des Jungen Theaters Ingolstadt viel belachte und beklatschte Premiere feierte. Es ist ein kleines, feines Stück, das um Kernfragen kreist: Wer bin ich? Wer bist du? Wie passen wir zusammen? Muss man sich möglichst gleichen? Wie begegnet man einem, der immer den Ton angeben will? Nach welchen Regeln spielen wir? Brauchen wir überhaupt welche? Und: Gibt es da noch Raum für jemand fremden?

Entzückend ist schon die farbenprächtige Ausstattung von Dietlind Konold für die clownesken Figuren, die Einer, Zweier, Dreier heißen und sich bisweilen ein wenig wie Hühner gerieren. Zutiefst kindlich sind sie alle - und wie sie sich im Spiel gebärden, mit all den lustvollen Wiederholungen, dem aufkeimenden Unmut, dem plötzlichen Sich-zurückgesetzt-Fühlen, dem Insistieren auf Gesetzmäßigkeiten, der Furcht vor Veränderung und dem plötzlichen Eigensinn zur Anarchie, das zeigen Olivia Wendt, Michael Amelung und Benjamin Dami so vortrefflich wie gewitzt. Und wie leicht ihnen diese (Kunst-)Sprache von den Lippen kommt, diese mit Furor hingetupften Wörter und unfertigen, umständlichen Sätze, die bisweilen an Samuel Beckett erinnern, mindestens aber an Karl Valentin!

Es gibt viel zu schauen und viel zu lachen: Regisseurin Julia Mayr inszeniert ganz nah an realen kindlichen Welten, findet reizvolle Spiegelungen, aber treibt das clowneske Spiel theatral voran. Tür auf, Tür zu, Kopf raus, Kopf rein, Kistengeklapper, Verfolgungsjagden und Gepurzel, der Weißwurstsenf zum Regenwurm - das kindliche Publikum liebt das. Und hier ist es originell dosiert, in reizvoller Bildästhetik (zwischen bajuwarischem Barock und skurriler Operettenhaftigkeit) zu finden und in raffinierten Bewegungschoreografien präzise gearbeitet. Wunderbar passt dazu die Musik (Tobias Hofmann) aus Vogelzwitschern und Tuba, die die Spielszenen nicht nur strukturiert, sondern das Thema auf der akustischen Ebene fortspinnt: Wie bringt man derart Gegensätzliches zusammen?

"Ich wäre gern dein Freund wär ich gern, mein lieber Zweier", sagt Dreier. "Hab schon einen", antwortet Zweier. Am Ende schaffen sie es doch, sich zusammenzuraufen. Und das ist auch etwas, was man aus diesem philosophisch-komischen Stück über Rang- und Reihenfolgen mitnehmen kann. Es ist ein kleines Lehrstück über Selbstbehauptung und ein Plädoyer fürs Miteinander.

Neben zahlreichen Schülervorstellungen gibt es Vorstellungen im freinen Verkauf am 19. Mai sowie am 9. und 23. Juni in der Werkstatt. Kartentelefon (0841) 30547200.

Anja Witzke