Regensburg
Im Kiosk "Süßes Paradies" stimmt was nicht

Christina Schmidt inszeniert Humperdincks "Hänsel und Gretel" am Theater Regensburg

19.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:02 Uhr

Natürliches Spiel: Elvira Hasanagic (Gretel), Jasmin Etezadzadeh (Hänsel) und Michael Berner (Hexe). - Foto: Zitzlsperger

Regensburg (DK) Wir Erziehungsberechtigte haben es ja schon immer gewusst: Die Dult liegt direkt auf der Achse des Bösen, Zuckerwatte ist die Geißel der Menschheit und nichts ist verlogener als ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift „Schmuse-Bärchen“. Die Prekariatssprösslinge Hans und Margarete ahnen davon nichts, reicht das Geld ja sonst nicht einmal für eine warme Mahlzeit.

So sind die beiden also erst einmal so abgelenkt von all den naturidentischen Aromastoffen, dass sie nicht merken, dass mit der Einzelhandelsfachkraft hinter der Theke des „Süßen Paradieses“ etwas nicht stimmt.

Die Hexe in Engelbert Humperdincks unsterblicher Märchenoper mit einer Männerstimme zu besetzen hat eine lange Tradition. Über die geschlechtliche Mehrdeutigkeit kann ein allgemeines Unbehagen an der Figur transportiert werden. Ob das auch dann noch der Fall ist, wenn es sich um eine Art Knusper-Frank’n’Furter aus der Rocky Horror Grimm Show handelt? Diese Frage vermag Michael Bernau bei der Regensburger Premiere nicht endgültig zu beantworten.

Der fabelhafte Charaktertenor, der in der Vergangenheit mit Rollen wie dem Hauptmann in Bergs „Wozzeck“ fesselnde Charakterporträts gestaltet hat, ist auch hier wieder schauspielerisch in seinem Element. Lasziv die Netzstrümpfe herzeigend macht er deutlich, dass sein Interesse an den Kindern nicht bloß kulinarischer Natur ist. Seine Stimme hat aber nicht das nötige Volumen, diese Bösartigkeit auch aus dem Gesang heraus zu verkörpern. Wenig Unterstützung kommt diesbezüglich auch aus dem Orchestergraben. Philip van Buren animiert das Regensburger Orchester zwar zu einer feinen Leistung, die schon in der Ouvertüre viel instrumentale Brillanz zeigt, all dies wird aber immer wieder allzu forsch zur Schau gestellt, so dass die Sänger forcieren müssen. Michael Bernau kommt da schnell an seine Grenzen.

Auch Monika Staszak und Mirella Hagen als Sand- und Taumännchen hätten eine zartere Begleitung gebraucht, Zuzana Sveda als Mutter Gertrud freilich schlug von vornherein ein komplett textunverständliches Wagner-Forte an. Adam Kruzels Besenbinder dagegen lieferte von der Proszeniumsloge aus durch den Zuschauerraum die Bühne erobernd ein erstklassiges Auftrittslied und vermochte auch darstellerisch das Umschlagen vom Hexen-Ulk in veritable Angst glaubhaft zu gestalten.

Hier hat Regisseurin Christina Schmidt ebenso feine Arbeit geleistet wie bei den Protagonistinnen. Das Spiel der auch stimmlich überragenden Jasmin Etezadzadeh als Hänsel und der ebenfalls ausgezeichneten Elvira Hasanagic als Gretel ist von solch natürlicher Frische und sympathischer Kindlichkeit, dass sie allein den Premierenabend zu tragen vermögen.

Schön gelingt auch der Umschlag der eher trostlosen, nur spärlich überwucherten Industriebrache (Bühne: Hannes Neumaier), in der die beiden umherirren, in einen Zauberwald: Als Waldboden breiten die Engel ein riesiges Tuch über den Schlafenden aus. Stimmungsvoll lässt die Regisseurin den Glitzerstaub des Sandmännchens im Zuschauerraum herabregnen. Schade nur, dass dadurch die Ruhe und Konzentration auf den Abendsegen verloren gehen, der prompt etwas verwackelt wird.

Am Ende gibt es dank eines gelungenen Auftritts der Kinder des Cantemus Chores der Musikschule (Einstudierung: Matthias Schlier) ein ausgelassenes Finale. Mutter Gertrud, an deren Hochsteckfrisur die Haarpracht der Hexe schon merkwürdig erinnert hatte, übernimmt fortan den Kiosk-Verkauf. Die Grundversorgung ist also gewährleistet.