Regensburg
Totes Wild im ganzen Haus

Tom Waits' Songs rocken einfach immer: Jan Langenheim inszeniert "The Black Rider" im Regensburger Velodrom

04.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr

Der Teufel hat seine Finger im Spiel: Sebastian M. Winkler gibt in der Regensburger Inszenierung den Stelzfuß. Spektakulär ist die Bühne von Anja Jungheinrich. - Foto: Quast

Regensburg (DK) DANGER steht in großen Buchstaben an der Bretterwand. Was für Gefahren dahinter lauern, sieht man, wenn die Zirkusansager ihre Arbeit getan haben und die Bretterwand zum Einsturz bringen. Dann ragt der Aufriss eines Abbruchhauses aus dem Dunkel hervor. Ein Setzkasten mit schiefen Zimmern und großgemusterter Tapete. Mit riesigen Lampenkugeln, mehr florale Kunstwerke denn reale Lichtquellen. Mit ausgemustertem Zirkuskrimskrams und Schießbudenfiguren aller Art. Mit einem toten Schwein im Keller und Grün, das aus allen Ritzen quillt. Spektakulär ist die Bühne von Anja Jungheinrich, die sie für diesen "Black Rider" im Regensburger Velodrom ersonnen hat. Zumal die Elemente auch noch beweglich und drehbar sind, auf der Rückseite die Front des Häuschens in einer Art märchenhaftem Fotorealismus zeigen. Und an den Innenseiten auf blutrotem Grund die Schrift "Life is a killer" formen.

"The Black Rider" aus der Feder des genialen Dreigestirns Robert Wilson, Tom Waits und William S. Burroughs erzählt die "Freischütz"-Sage aus dem Gespensterbuch von Johann August Apel in schräger Eigenwilligkeit neu. Am Anfang tritt hier ein Marktschreier auf, der dem eintretenden Publikum - noch bei Saallicht - allerlei Kuriositäten verspricht. Was Regisseur Jan Langenheim für seine Inszenierung in Regensburg zum Anlass nimmt, seine düstere Sage genau in diesem Jahrmarktmilieu anzusiedeln. Er schickt sie in die Manege: den dicken Clown und seine dralle Gespielin im Westernstyle und mit abgerocktem Goldglitter-Outfit, den coolen Robert in weißer Lederkluft mit Captain-America-Schulterklappen und Punk-Stachel-Helm. Das Prinzesschen im Flitter-Tutu, mit zarten Gedanken und zartem Schirmchen. Den Wahrsage-Automaten-Ritter. Den starken Kuno im Ringelbody und mit Schaumstoffmuskeln. Kostümbildnerin Jessica Karge hat ganze Arbeit geleistet und sich herrlich verrückte, verlotterte Artisten-Maskeraden ausgedacht.

Diese Schausteller schlüpfen also in die Rollen von Förster Bertram und seiner Frau Anne, von Jägerbursch Robert, den sie ihrem Käthchen zugedacht haben, von Schreiber Wilhelm, den Käthchen sich zum Manne wünscht. Und sie ahmen die schwarzromantische Volkssage mit großer Dramatik und raffiniertem Gaukelspiel nach.

Wilhelm möchte Käthchen, die Tochter des Försters, heiraten. Dafür muss er einen Probeschuss leisten, vor dem ihm bangt. Je näher die Probe rückt, desto größer wird seine Verzweiflung. Weil er ein schlechter Schütze ist, nimmt er in seiner Not die Kugeln des mysteriösen Stelzfuß an, die ihr Ziel niemals verfehlen. Plötzlich ist jeder Schuss ein Treffer und das Paar schöpft neuen Mut. "Oh, wie herrlich sieht's hier aus, totes Wild im ganzen Haus!", schwärmt Käthchen beim Anblick der ganzen Kadaver. Schnell gewöhnt sich Wilhelm an die magischen Kugeln. Wie ein Junkie fordert er mehr und mehr. Und lässt sich auf einen teuflischen Deal ein: Er erhält Kugeln mit Treffgarantie. Jedoch: Eine der Kugeln lenkt der Teufel selbst. Man weiß, wie es endet: Mit dieser einen Kugel trifft Wilhelm seine Braut.

Allein die Songs von Tom Waits betören durch ihre dämonische Poesie, ihren makaberen Witz, ihren rumpelnden Vaudeville-Sound und ihre verführerisch fragilen Melodien. Und Bernd Meyers kleine Zirkusband, im hinteren Bereich der Bühne untergebracht, macht ihre Sache wirklich großartig, bringt die ungeheure Bandbreite an Musikstilen, den schwermütigen, irrlichternden Klang mit feinem Gespür für Effekte zum Leuchten. Aber weil man natürlich auch Waits' knarzende, raue, melancholisch-krakeelende Stimme im Ohr hat, bleibt die gesangliche Seite der Inszenierung etwas enttäuschend. Strahlen kann hier vor allem das Frauentrio, allen voran Verena Maria Bauer, die ihrem Käthchen nicht nur eine schillernde Anmut verleiht, sondern auch glockenrein singt. Aber auch Ruth Müller (als Mutter Anne) und Andine Pfrepper (vor allem als Conférencier) vermögen mit viel Power zu überzeugen. Das Gros der Männer bleibt allerdings konturlos. Ausgerechnet der Darsteller des Wilhelm, Matthias Zera, taumelt bisweilen ein wenig ungelenk durch die spukige Waldfrevler- und Albtraumwelt und ist gesanglich hörbar überfordert. Sebastian M. Winklers Stelzfuß erweist sich als wenig diabolisch, dafür singt er wie der Teufel. Robert Hermanns gibt einen braven Jägerburschen. Und Oliver Jaksch einen tolldreisten Clown. Erklärter Publikumsliebling ist Gunnar Blume, der gleich in mehreren bizarren Rollen sein komödiantisches Talent unter Beweis stellt.

Und doch: Irgendwie will Jan Langheims Konzept nicht ganz aufgehen. Es gibt schöne Bilder (wie das Maskenspiel der Waldtiere) und skurrile Assoziationen, aber eben auch befremdlichen Leerlauf, Szenenarmut, Schwerfälligkeiten, starke Spannungsschwankungen. Deshalb fällt der Applaus zwar zwiespältig aus. Für eine Zugabe des Titelsongs reicht's aber allemal.

Weitere Vorstellungen im Regensburger Velodrom bis zum 6. Juni, Kartentelefon (09 41) 507 24 24.