Regensburg
Pasternak als Pathosbrei

Anton Lubchenkos Oper "Doktor Schiwago" wurde am Regensburger Theater uraufgeführt

25.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

Regensburg (DK) Ein durch Hollywood allseits bekannter, erstmals vertonter Stoff als Uraufführung – ein vom Komponisten herbeigefaselter Eklat um die Regie: Das sind die Zutaten, die einem kleinen Haus wie dem Theater Regensburg überregionale Aufmerksamkeit bescheren. Als skandalträchtig erwies sich dann allerdings nicht die Regie, sondern Anton Lubchenkos selbstgefälliger Umgang mit Boris Pasternaks „Doktor Schiwago“ und seine reaktionäre, aus der russischen Musikgeschichte zusammengeklaubte Partitur.

Als sein eigener Librettist hat der 1985 geborene Anton Lubchenko Boris Pasternaks monumentalen Roman auf neun, im Ersten Weltkrieg einsetzende Szenen zusammengestaucht. Mehr als an der Liebe zwischen Lara und Schiwago – deren Vorgeschichte vage bleibt – ist Lubchenko am großen Ganzen interessiert. Er nimmt Pasternak zum Vorwand, üppige Tableaus von der tragischen russischen Geschichte zu malen: Ein Verwundeter stirbt bühnenwirksam – ein Choral wird angestimmt; in einen intimen Dialog bricht die Ausrufung der Revolution herein; Partisanenführer Strelnikow lässt „Verräter“ hinrichten – „Weh dir, leidgeprüftes Russland“, ruft der Chor in das Inferno.

Es ist zuallererst die Musik, die Pasternaks vielschichtigen Roman in einen eindimensionalen Pathosbrei verwandelt: Ganz ungeniert bedient sich Lubchenko, der bei einem Schostakowitsch-Schüler studiert hat, in der Musikgeschichte, vornehmlich der russischen. Dabei wird kaum etwas aus der Szene heraus entwickelt, vielmehr werden die großen, Tschaikowsky, Puccini, Prokofjew oder Khatchaturjan abgelauschten Gesten einfach abgerufen und routiniert aneinandergeklebt. Was die psychologische Tiefenschärfe angeht, so bleibt die an Leichenfledderei grenzende Partitur meilenweit hinter den Errungenschaften eines Mussorgsky zurück.

In der einigermaßen missratenen Szene, in der Komarowski die Zweisamkeit Lara–Schiwago unterbricht, meint Lubchenko uns mit einer gelehrten Fuge beeindrucken zu müssen. Die „Winternacht“ – eines von vielen ins Libretto übernommenen Pasternak-Gedichten – übergießt er dazu mit postwagnerianischem Schwulst. Als Dirigent setzt Lubchenko, Generalmusikdirektor des Opernhauses Wladiwostok, vor allem auf Lautstärke. Die bisweilen aus dem Graben herausragenden Handbewegungen zeigen deutlich den Einfluss Valery Gergievs, dessen Assistent er am Mariinsky Theater gewesen ist. Die Sänger, darunter ausgezeichnete Gäste aus Wladiwostok, haben hörbar Freude an den dankbaren, vom Orchester umtosten Partien. Michaela Schneider aus dem Hausensemble leistet als Lara Herausragendes.

Regisseur Silviu Purcarete muss man zugutehalten, dass er mit leicht surrealen Bildern um Schadensbegrenzung bemüht ist. Im Torso eines von Helmut Stürmer beeindruckend auf die Bühne gestellten Hauses und in dessen Untergeschoss spielen sich teils albtraumartige Szenen ab, wenn etwa der kokainsüchtige Strelnikov sich zuerst im Bade den Rücken bürstet und dann als lebendes Standbild die rot beflaggte Sense schwingt.

Das und einige Wodka-Flaschen auf der Bühne (!) war für den Putin-treuen Lubchenko, der vergangenes Jahr (wie Gergiev) zu den Befürwortern der Krim-Besetzung zählte, zu viel. Ob dieser Verzerrung des Russlandbildes zettelte er einen Streit mit Purcarete an, der sich dann auch bei der Premiere nicht auf der Bühne zeigte. Lubchenko dagegen ließ sich von einem begeisterten Publikum, darunter offenbar einige Fans, mit einer letzten großen Geste feiern: das in der Inszenierung verwendete Pasternak-Porträt vor sich her haltend.