Regensburg
Eine Bühne für Traumata

Der georgische Choreograf und Tänzer Georg Sosani arbeitet in Regensburg mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen

27.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Foto: DK

Regensburg (DK) Georg Sosani ist ein Meister der nonverbalen Kommunikation. Seine Sprache sind Mimik, Körperausdruck und Gesten, ein Blick oder das Spiel der Hände. Sein Alphabet die Muskeln und Sehnen, ja, geradezu jede Faser seines Körpers. Lautlos erzählt er seine Geschichten. Große Worte macht er selten. Wozu auch? Der georgische Schauspieler und Choreograf ist ein außerordentlicher Bewegungskünstler und Pantomime. Einer, der seine Kunst bis ins kleinste Detail beherrscht. Und einer, der über all dies ganz ohne Allüren auskommt.

Ruhig, fast zusammengekauert hockt er an diesem Morgen auf dem Tanzboden der Tanzschule iDanzz-College in Neutraubling bei Regensburg. Sosani Art Zone, das Ensemble des gleichnamigen Tanztheaters und der Schule probt unter der Regie von Ehefrau Thea Sosani. Die vier ausgebildeten Tänzer sind ihre ehemaligen Schüler. Sie alle leiten eigene Tanzschulen. Aber Tanz und Theater sind zwei Freunde, die sich erst kennenlernen müssen. In der Sosani Art Zone lernen sie wie. Im Zentrum der Arbeit steht die Kommunikation mit dem Publikum. Zum Ensemble gehört auch das Ingolstädter Geschwister- und Tänzerpaar Tami und Pasha Darouiche von der Tanzschule TamTam-Dance.

Georg Sosani sitzt noch immer mit dem Rücken zum Tanzspiegel, beobachtet aufmerksam und schweigt. Und wenn er doch einmal ein Wort verliert, dann hat es Gewicht und ist in bestem Deutsch formuliert. Als er 2008 Georgien mit Frau und Kind endgültig verlässt und nach Deutschland kommt, kennt er dieses Land schon mehr als ein Jahrzehnt. Und die Menschen kennen ihn. Bis heute tourt er als Solokünstler mit der Regensburger Multimediashow „Traumfabrik“ von einem Erfolg zum nächsten.

Seit 2007 unterstützt er die Show aus Tanz, Pantomime, Akrobatik und Kleinkunst auch als Ensemble-Trainer und Choreograf. Georg Sosani studierte Schauspiel und Pantomime an der Shota Rustaveli Universität für Theater und Film in Tiflis und spielte anschließend am Staatstheater in Tiflis. Gemeinsam mit Ehefrau Thea entwickelte er das Bewegungstheater „ImproArt“. „Wir haben damals im Wohnzimmer angefangen“, sagt er. „Blind Date“, eine bittersüße Beziehungskomödie, stammt aus der Tifliser Zeit. Sie vereint alles, wofür der Name Sosani bereits in Georgien bekannt war: klassische Pantomime, Schauspiel, Tanz und Akrobatik in neuen kreativen Theaterformen.

Dann fielen russische Bomben auf Tiflis. Und nichts war mehr, wie es war. „Der Krieg war kurz“, sagt Georg Sosani. „Fünf Tage dauerte er. Fünf effektive Tage.“ Solange die Bomben fielen, wollten weder er noch seine Frau gehen. Familie und Freunde in solch einer Situation zurücklassen. Und dennoch gingen sie. Nach dem Krieg. „Es gab einfach keine Perspektive mehr“, sagt Sosani. Das künstlerische Leben lag in Trümmern. Die „Traumfabrik“ wurde zur Brücke in die neue Heimat.

Vielleicht war es das Trauma des Krieges und die eigene Migrationserfahrung, die Georg Sosani dazu bewogen hat, Theaterprojekte mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen zu inszenieren. So genau könne er das nicht sagen. „Aber wer einmal gehört hat, was diese Jugendlichen erlebt haben, der kann nicht anders, als ihnen helfen zu wollen.“ Soziale Projekte spielen in der georgischen Gesellschaft kaum eine Rolle. Wer am Rande der Gesellschaft lebt oder gar unter einem Handicap leidet, ist oft alleine. „Das hat mich immer gestört“, sagt er. Und dennoch hat Sosani die sozial-kreative Arbeit in Deutschland nicht ausdrücklich gesucht. Er spielte für die „Traumfabrik“, arbeitet als Dozent an der Akademie für Darstellende Kunst Bayern und baute mit Ehefrau Thea die Sosani Art Zone auf.

Als er die ersten „Mikro-Projekte“ im Regensburger Jugendzentrum W1 betreut, wusste er plötzlich: „Das muss irgendwie in meinem Herzen gelegen haben. Ich habe mich sofort wohlgefühlt. Anders ist das Ergebnis auch nicht möglich.“

2011 beginnt er die Arbeit an „Lebenserlaubnis“ mit berufsschulpflichtigen Asylbewerbern, aus unterschiedlichen Nationen, die kaum Deutsch sprechen und Dramatisches auf der Flucht erlebt haben. Im Herbst wurde er dafür mit dem Aumüller Integrationspreis ausgezeichnet. Der Preis wird alle zwei Jahre von den Unternehmern Stefan und Christian Aumüller vergeben.

Das Schauspielern wollte er den Flüchtlingen nicht beibringen. „Das ist unmöglich in dieser kurzen Zeit“, sagt Sosani. „Aber was ich ihnen geben konnte, war eine Ausdrucksform und eine Bühne für ihre Traumata.“ Selten haben Zuschauer während und nach einer Premiere so viel geweint, wie nach „Lebenserlaubnis“ im Regensburger „Leeren Beutel“.

Das sagt er ganz unaufgeregt und wirkt, als sei es nicht mehr als die Bestätigung, dass er etwas richtiggemacht hat. Georg Sosani redet nicht viel. Aber er ist ein Meister der Kommunikation. Er puscht nicht und er befeuert auch nicht die sozialen Netzwerke im Minutentakt. Und trotzdem folgt ihm der Erfolg anhaltend wie ein treuer Freund.