Raffinierte Skulpturen statt schicker Karossen

Exklusiv für Audi hat Camill Leberer zwei Kunstwerke entworfen, die in den Hallen des Autobauers gefertigt werden

24.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:10 Uhr

−Foto: Ina Wobker

Ingolstadt (DK) Mitte Oktober im Audi-Werk: "Gutes Gelingen" ruft Camill Leberer munter zum Abschied in die Runde, bevor er zum Bahnhof fährt und in den Zug nach Stuttgart steigt. Es ist aber nicht ganz klar, ob es dem Künstler wirklich so leicht fällt, die Fertigung seiner beiden Werke "Räumliche Faltung 1 und 2" nicht in der eigenen Hand zu haben.

Auch wenn er keinerlei Zweifel daran hat, dass sie präzise und perfekt gearbeitet werden, und er sich, wie er sagt, auf diese besondere Zusammenarbeit freut. Die, die in ihrem Alltag in hoch komplexen Abläufen Autos bauen, dabei auch zahlreiche Auszubildende, werden seine Entwürfe umsetzen, werden hauchdünne Aluminiumplatten bearbeiten, Öffnungen schneiden, lackieren und zu dreidimensionalen Kunstwerken zusammenfügen. Zwei mal einen Meter mal 25 Zentimeter groß werden sie sein und ab 6. Dezember als Exponate in der Ausstellung "Glanzstücke" im Audi Museum mobile zum Thema Leichtbau gezeigt. Dabei spielt der Werkstoff Aluminium eine wesentliche Rolle.

Inge Wolf-Frör von der Abteilung Kommunikation Kultur im Unternehmen, begleitet den Entstehungsprozess federführend, bringt Künstler und Autobauer zusammen. "Camill Leberer war von unserer Idee begeistert, hatte gleich große Lust mit diesem - für ihn neuen Werkstoff - zu arbeiten", erzählt sie und freut sich über die konstruktive und exklusive Zusammenarbeit. Vor allem in dem Jahr, in dem die Stiftung für Konkrete Kunst und Design Ingolstadt, bei der Audi Gründungsmitglied ist und in der auch Camill Leberer seit 2009 vertreten ist, ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Außerdem werden Werke von Leberer, ein Werk ist bereits seit einiger Zeit im Audi-Forum Ingolstadt ausgestellt, bald im Audi-Kunstraum zu sehen sein. Dort, wo seit 2011 immer wieder Werke aus dem Stiftungsbestand gezeigt werden.

Camill Leberer, 1953 im südbadischen Kenzingen bei Freiburg geboren, seit Jahrzehnten in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu Hause, ist ein Grenzgänger zwischen Malerei und Skulptur. Zu den wichtigsten Arbeitsmaterialien des Fotografen, Bildhauers und Malers, der an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart studierte und dessen Werke in mehreren öffentlichen Sammlungen vertreten sind, zählen Eisen, Farbe und Glas. Er spielt mit Fläche und Raum, Licht und Farbigkeit, Dynamik und Ruhe in seinen zwei- und dreidimensionalen Werken.

Camill Leberer ist ein Künstler ohne Starallüren. Entsprechend ungezwungen ist das Kennenlernen mit den Auszubildenden, das Arbeitstreffen im Werk an diesem Tag im Oktober. Eine besondere Begegnung für alle Beteiligten. Alles mit großem gegenseitigen Respekt, Neugierde und auf Augenhöhe. Künstler trifft auf Autobauer, Pläne auf Papier auf Hightech, Handarbeit auf Maschinenfertigung. Bevor es in der Lehrwerkstatt der Lackiererei konkret wird, die Fachleute und die, die es nach ihrer Ausbildung sein werden, mit Camill Leberer über seinen Plänen und Aluminiumplatten die Köpfe zusammenstecken, gerechnet, erklärt, diskutiert wird, stellt er vor allem den jungen Leuten sich und sein Werk vor.

Er erzählt vom Künstler-Dasein im Speziellen und von seinem im Besonderen, von seinem Werdegang und seinem Werk, er beschreibt die Arbeit in anfangs kalten Mini-Ateliers und später in der altehrwürdigen Villa Massimo in Rom im Rahmen eines Stipendiums. Es ist eine kleine und sehr persönliche Lehrstunde über Höhen und Tiefen, über Ideen und das Ringen darum - Erfahrungen, die nicht nur für Künstler gelten mögen. Wichtig ist ihm, auch das erfahren die Anwesenden, alle zwei Jahre auf eine längere Reise zu gehen, um sich ganz bewusst neuen Situationen auszusetzen, etwa bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in China. "Es geht auch darum, Schwierigkeiten zu suchen und diese zu überwinden." Er spricht über Kreativität und Prozesse, die zu einem Ergebnis führen - oder eben auch nicht. "Es ist wichtig, Dinge einfach einmal zu tun, nicht zu überlegen, ob sie richtig oder falsch sind" sagt er. Und es sei wichtig, sich auch wieder von Entwürfen trennen zu können. Dass er dies ernst meint, erfahren die jungen Leute wenig später. Da die Platten zu fein sind, können sie nicht gefaltet werden. Und sie werden kleiner als gedacht. "Uns hat beeindruckt, dass Leberer hier mitgeht," heißt es später in der Lehrwerkstatt.

Aysen Özbey steht dort an den großen Arbeitstischen, eng wird es plötzlich, weil sich so viele - junge Leute und alte Hasen aus der Produktion - um die Entwürfe drängen, weil das Interesse an Leberer und seinem Werk, das sie alle gemeinsam vollenden werden, groß ist. Die 19-Jährige ist eine von Hunderten Auszubildenden bei Audi und eine von 59 in der Fahrzeuglackiererei. Vor dem Vortrag ist sie abwartend, danach von Leberer und der Idee überzeugt, so scheint es. Aysen Özbey studiert die Pläne und steht nah bei bei ihm, als dieser die Farben aussucht. Möglich ist in der Lackiererei von Audi alles: Jeder noch so spezielle oder abwegige Farbwunsch kann erfüllt werden. Doch Leberer reichen schon die 24 Muster, unter denen er sich entscheidensoll. Aysen Özbey schnappt sich einen Block und schreibt eifrig mit, notiert unter anderem Ibisweiß, Navarrablau und Matadorrot. "Das ist mal etwas ganz anderes, auch wenn es mit unserem Beruf zu tun hat", sagt sie begeistert und ganz bei der Sache. "Eine tolle, neue Erfahrung." Und spricht damit irgendwie für alle.

AUSSTELLUNGEN: CAMILL LEBERER UND LUDWIG WILDING

Die beiden Skulpturen von Camill Leberer werden vom 6. Dezember bis 4. März in der Sonderausstellung im Museum mobile "Glanzstücke - der Glanz der Technik - Die Faszination des Werkstoffs Aluminium" zu sehen sein. In diesem Zeitraum wird im Audi- Kunstraum außerdem die Schau "Camill Leberer, Glanzstücke - Aluminium und Papier" gezeigt. Geöffnet ist Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und feiertags von 10 bis 16 Uhr.

Audi ist Gründungsmitglied und Kooperationspartner der Stiftung für Konkrete Kunst und Design Ingolstadt (SKKD), die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Gemeinsam mit seiner Frau Ingeborg Wilding war Ludwig Wilding ebenfalls einer der Stiftungsgründer. Er beschäftigte sich zeitlebens mit Fragen der visuellen Wahrnehmung und den Grenzen des Sehens. An diesem Samstag wird um 18 Uhr im Museum für Konkrete Kunst eine Jubiläumsausstellung mit den Werken von Ludwig Wilding (bis 25. Februar) eröffnet. | DK