Nürnberg
Sterbender Gletscher

Nürnberg zeigt Arbeiten der Preisträger des Faber-Castell-Kunstpreises – mit 15 000 Euro einer der höchstdotierten Kunstpreise in Bayern

30.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Nürnberg (DK) Wie ein abgebrochener Eisbrocken eines sterbenden Gletschers liegt er im Saal – schmutziggrau, mit Schrunden und Rissen, ein hingestreckter Riese, dessen Todesschreie man zu vernehmen meint. Eine apokalyptische Endzeitstimmung geht von dieser gewaltigen, meterhohen Skulptur aus, die sich nicht weniger raunend „The World As Of Yesterday“ nennt.

Anastasia Ax, 1979 in Stockholm geboren, hat dafür den ersten Preis des „Internationalen Faber-Castell-Preises für Zeichnung“ bekommen. Zusammen mit den Arbeiten der vier weiteren Preisträger ist ihr bei einer Performance entstandenes Werk jetzt im Staatsmuseum für moderne Kunst Nürnberg ausgestellt.

Der zum zweiten Mal vergebene und nur alle drei Jahre ausgelobte Kunstpreis zählt mit 15 000 Euro zu den höchstdotierten Kunstpreisen Bayerns. Der längst aufgeweichte Begriff „Zeichnung“ wird dabei nicht sonderlich ernst genommen, sodass auch die bildhauerisch beeindruckende Arbeit von Anastasia Ax leicht darunter zu subsumieren ist. Denn ihre gewaltige Skulptur ist eigentlich ein Papiergebirge, herausgehauen und herausgerissen aus einem zu einem Ballen gepressten Block aus Recycling-Papier, das sie berserkerhaft bearbeitet und zerstört und mit Tusche und Farbe bespritzt.

Im Kontrast dazu stehen Julia Hallers (1978 in Frankfurt geboren) filigrane, auf den ersten Blick kaum wahrzunehmende Gravuren auf (mit Eisenoxid-Pigmenten) schwarz eingefärbten Glasplatten: Gespinste aus Linien und kalligraphische Krakülen, die wie Chiffren aus dem monochromen Hintergrund auftauchen.

Ad Atkin (1982 in Oxford geboren) hingegen lässt seine Zeichnungen irritierend nur im Licht verschiedener Videos aufleuchten: Erst nach und nach bemerkt der Besucher, der auf die flimmernde Leinwand schaut, dass in seinem Rücken Bilder, die nicht minder verwirrenden Zeichnungen des Künstlers, hängen. Schaut er darauf, entgeht ihm natürlich das Geschehen auf der Leinwand, was zu verblüffenden visuellen Effekten und Eindrücken führt, weil er Zusammenhänge zwischen Zeichnungen und Film herzustellen versucht.

Ein mehrdimensionales Spiel mit der menschlichen Wahrnehmung, das sich in den Arbeiten Ulla von Brandenburgs (1974 in Karlsruhe geboren) fortsetzt. Denn sie verleitet den Betrachter, mit den Requisiten ihrer Wand und Raum füllenden Installationen und den Schatten, die sie werfen, sich gleichsam ein theatrales Geschehen vorzustellen, ja eigentlich erst herzustellen.

Auf inszenierte Täuschungen laufen auch Aleksandra Chaushovas (1985 in Sofia geboren) Zeichnungen hinaus, die Architekturpläne und Skizzen, Kostümbilder und Gesichter so inszeniert, dass sich ein surreal anmutendes Geschehen – wie in Max-Ernst-Collagen – abzuzeichnen scheint.

Die Ausstellung zum Faber-Castell-Kunstpreis ist eine Herausforderung für den Besucher, erschließen sich ihm die so unterschiedlichen Arbeiten der fünf preisgekrönten Künstler oft erst auf den zweiten Blick – oder gar nicht!

Arbeiten der Preisträger des Faber-Castell-Kunstpreises der Zeichnung. Staatsmuseum für moderne Kunst Nürnberg, geöffnet Di–So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr bis 11. Oktober.