Nürnberg
Läuterung durch Tanz

Begeisterter Applaus für Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero und seinen bildgewaltigen "Faust"

18.12.2012 | Stand 03.12.2020, 0:41 Uhr

Nürnberg (DK) Es wirkt wie eine Läuterung: Mit seinem neuen Tanzstück „Faust“ beweist Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero nach „Don Juan“ einmal mehr, dass er zu einer neuen tanztheatralen Form und Sprache gefunden hat. Keine leer-dekorative Ornamentik, keine Selbstzweck-Bühneneffekte mehr. Statt dessen paaren sich in dem bereits vorvergangenes Wochenende im Opernhaus uraufgeführten Stück erzählerische Ökonomie und theatrale Bildkraft zu einem überzeugenden Ganzen, das in keiner seiner 150 Minuten langweilig ist.

„Der Künstler ist der Bruder des Verbrechens und der Verrückten“: den „Faust“ Goethes, Thomas Manns „Doktor Faustus“ und Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ in einem Stück abzuhandeln – konzeptionell will Montero viel. Formal setzt er wiederum auf das Wagnis, Text und Tanz zusammenzuspannen. Julia Bar-tolome aus dem Nürnberger Schauspielensemble darf wie schon im „Don Juan“ als „M.“(ephisto) den zynisch-souveränen Maître de plaisier geben, der – live oder per Einspielung alle drei Autoren virtuos rezitierend – durch den Abend führt. Das Experiment geht auf, der Tanz wird dabei fast zur Nebensache. Ohnehin ist Monteros solides Modern-Dance-Idiom nicht übermäßig individuell oder originell. Aber hier ist jede Bewegung an ihrem Platz, hat jede choreografische Figur ihren Sinn, entwickelt sich das Geschehen organisch zu Sprache und Musik.

Überhaupt die Musik. Klassische Sinfonie, romantisches Klaviertrio, impressionistische Empfindungsmalerei, Berlioz-artiger Hexenwalzer, Spieluhrgedudel, Greenaway-Filmklänge: Lera Auerbachs eigens geschaffene Partitur spielt souverän mit allen Stilen und illuminiert mit ihrem Farbenreichtum kongenial jede Wendung des Geschehens. Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Philip Pointner mit der Komponistin am Flügel interpretiert das schwungvoll und nuanciert.

Dramaturgisch hält sich Montero überwiegend an die sattsam bekannte Faust-Vorlage: zunächst Prolog im Himmel mit Wette zwischen Gott als sprechendem Leuchtballon und Mephisto im Kreise seiner Knechte. Die aus riesigen Quadern aufgetürmte Höllentorarchitektur des Anfangs wird wenig genutzt, meist arbeitet Montero, neben Verena Hemmerlein (Bühne), Angelo Alberto (Kostüme) und Olaf Lundt (Licht) wie immer auch für Ausstattung und Lichtdesign mitverantwortlich, mit fahrbaren, innen beleuchteten Würfeln, die auf schwarzer Bühne als Käfig, Experimentierkolben voller Homunculi oder auch Gefängniszelle dienen. Schon während des gestotterten Anfangsmonologs windet sich daraus Bulgakows Meister hervor: Saúl Vega tanzt ihn gewissensgebrochen an Leib und Seele mit den eckig-zuckenden, halb tierischen Bewegungen eines Verrückten. Er ist das Alter ego von Manns und Goethes Faust: Carlos Lázaro gibt diesen im langen, wehenden Mantel als streng konzentrierten Ehrgeizling, dem M. im Zuge des Paktes Extremerfahrungen und künstlerische Schaffenskraft verspricht.

M.s drei groteske Hilfsteufel (Sayaka Kado, Natsu Sasaki, Simon van Heddegen) scheinen Goyas „Schlaf der Vernunft“ entsprungen, der ja bekanntlich Ungeheuer gebiert. Sie treiben Faust und Gretchen (Marina Miguélez) buchstäblich das ganze Stück über um: vom Kennenlernen über eine kurze Spanne zart-bedrohten Glücks, an deren Ende Faust sie buchstäblich fallen lässt. In einer höllischen Castingshow nach der Pause erscheint sie dann als verstörte Kindsmörderin, der Faust vergeblich nachweint. Nach ihrer Apotheose zur Ballkönigin in der zur großen Gesellschaft umgedeuteten Walpurgisnacht fährt Montero dann dramaturgisch zweigleisig: Der Meister und die ihn aufrichtig Liebende dürfen am Ende zusammen sterben und zum Himmel fahren („gerettet“), während Faust an der kalten Pracht und eisernen Umarmung M.s zugrunde geht („gerichtet“). Langer, begeisterter Applaus für die Musiker und das auch tänzerisch jederzeit überzeugende Ensemble.

Weitere Vorstellungen: 22. Dezember, 19 Uhr; 25. Dezember., 18 Uhr; 28. Dezember, 20 Uhr, weitere Termine im Januar und Februar. Karten unter Telefon (01 80) 5 23 16 00.