Nürnberg
(K)einer wird gewinnen

04.04.2016 | Stand 02.12.2020, 20:00 Uhr

Im "Big Brother"-Finale: Fünf Flüchtlinge hoffen auf den Gewinn bei der Lotterie. (Von links: Bettina Langehein, Thomas Nunner, Marion Schweizer, Adeline Schebesch, Thomas L. Dietz). - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Was wie eine Parodie klingt, ist ernst gemeint: Eine Lotterie entscheidet darüber, wer als Flüchtling ins Land darf und Arbeit sowie ein Eigenheim bekommt. Jetzt wurde "Die Lotterie" , wie sich der Einakter der armenischen Stückeschreiberin Karine Khodikyan nennt, am Staatstheater Nürnberg uraufgeführt, zusammen mit den "Frauen des Krieges", wie die andere der "Zwei Geschichten für fünf Schauspieler" betitelt ist.

Für dieses Doppelstück bekam die Autorin den ersten Preis des "Internationalen Dramenwettbewerbs "Talking About Borders", der alljährlich für ein junges Theater in Osteuropa ausgelobt wird.

Das Studio des Theaters ist dafür zum verschachtelten "Big Brother"-Container (Bühnenbild Elena Köhler) umgebaut, in dem das Publikum fünf Flüchtlinge, drei Frauen und zwei Männer, beobachten kann, die in die Endauswahl der Lotterie gekommen sind und jetzt auf das Urteil einer unsichtbaren Jury warten müssen. Trotz ihres gleichen Schicksals, der Flucht aus ihrer Heimat, sind sie im Wartesaal der Hoffnung Konkurrenten - und giften sich entsprechend an, beschimpfen sich oder mobben einander. Dabei müssen sie eigentlich vorsichtig sind, denn sie werden beobachtet und wissen nicht, ob nicht vielleicht ihre Verträglichkeit und ihr Umgang miteinander bei der Endauswahl den Ausschlag geben.

Patricia Benecke, die Regisseurin, die das Stück auch ins Deutsche übersetzt hat, macht daraus eine Elegie für die fünf namenlosen Flüchtlinge, die zu Prototypen von Menschen auf der Flucht werden: Da ist die "Alte Frau" (Marion Schweizer), die ein ärmliches Leben hinter sich hat und jetzt noch ein neues anfangen soll. Da ist die attraktive "Frau mittleren Alters" (Adeline Schebesch), die die Überlegene gibt und doch hilflos ist; dann die "Junge Frau" (Bettina Langehein), erbarmungswürdig in ihrer zerlumpten Erscheinung, die die Hoffnung aufgegeben hat. Und schließlich der "Mann mittleren Alters" (Thomas Nunner), der auf sich hält und sich als Gentleman gibt, und der "Junge Mann" (Thomas L. Dietz), ein Draufgänger und Macho, der sich schon als Sieger fühlt.

Zum Schluss sind sie alle Gewinner - und enden, jeder für sich, in der Freiheit eines abgezäunten winzigen Areals, abgegrenzt und ausgegrenzt wie dort, woher sie kamen.

"Frauen des Krieges", die zweite Geschichte, variiert das Thema der Grenze und verlegt es in ein Kriegsgebiet, in dem die Grenzen verschwimmen. Freund und Feind sind ununterscheidbar; und für die strickende "Alte Frau", die es auch über die Grenzen ihres Bewusstseins hinaus verschlagen hat, ist die Welt nicht mehr in Ordnung und die Ordnung aus der Welt. Marion Schweizer, bis zu ihrem Ruhestand lange Jahre Mitglied des Ensembles, kehrt für diese Rolle auf die Bühne zurück - und macht daraus eine ebenso anrührende, wie grandiose schauspielerische Darstellung eines vergangenen Theaters, wie man es heute kaum noch kennt.

Weitere Vorstellungen am 6., 9., 10. und 19. April; 2. und 5. Mai sowie im weiteren Verlauf der Spielzeit. Karten gibt es unter Telefon (0180) 5 23 16 00.