Nürnberg
Im Puppenhaus wird nicht gekifft

Das Spielzeugmuseum Nürnberg beleuchtet in der aktuellen Schau das Spannungsfeld zwischen politischem Protest und privaten Paradiesen

16.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Foto: DK

Nürnberg (DK) Auf dem Bett liegt ein Buch von Uwe Timm. An der Wand hängt ein Poster von Jimi Hendrix. Der realen Einrichtung aus der Flower-Power-Zeit stellt das Nürnberger Spielzeugmuseum in der aktuellen Ausstellung "Puppenhäuser 1968" zahlreiche Puppenhäuser aus der Epoche von Miniröcken und Rockgiganten gegenüber.

Dieser Kontrast macht nicht nur Spaß beim Zuschauen. Bei diesem Aufeinanderprallen von Real- und Traumwelt werden auch erstaunliche Ergebnisse über die Doppelmoral der Flower-Power-Zeit ans Licht befördert.

"Das Jahr 1968 war eine Zeitenwende. Wir zeigen, wie die Flower-Power-Revolution die Puppenhäuser verändert haben", sagt Museumsleiterin Karin Falkenberg und lässt sich langsam in ein aus Brettern zusammengezimmertes Liebesnest fallen, das in seiner verführerischen Schlichtheit so auch in einer Wohngemeinschaft aus Uwe Timms Hippie-Roman "Heißer Sommer" gestanden haben könnte. "Während es in der Außenwelt der 68er-Jahre zur Sache geht", sagt Falkenberg und zeigt auf die Wände mit den Protestplakaten und Demonstrationsaufrufen, "herrscht im Puppenhaus dieser Zeit nur Friede, Freude und Eierkuchen." Diese Widersprüchlichkeit zwischen Aufbruch und Stillstand will das Spielzeugmuseum mit seiner aktuellen Ausstellung "Puppenhäuser 1968 - Politische Proteste und private Paradiese" ins Blickfeld rücken.

Die revolutionären Wohnwelten aus dem Hippie-Bilderbuch treffen dabei auf die heimeligen Puppen-Traumhäuser. "Im Puppenhaus wird nicht gekifft und keine laute Musik gehört", bringt die Leiterin des Spielzeugmuseums die Parole der Miniaturwelten für das 68er-Kinderzimmer auf den Punkt. Eltern hocken mit ihren Kindern brav am Mini-Küchentisch. Frühreife Studentinnen räkeln sich nicht in den kleinen Bettchen. Selbst Poster von Che Guevara sucht man vergeblich an den Wänden der Zimmerchen. "Die Puppenhäuser zeigen die Doppelmoral dieser Zeit", findet Falkenberg und zeigt auf das idyllische Treiben in den Puppenstuben, in denen Sex, Drugs und Rock 'n' Roll ein Fremdwort ist. "Die Spielwelt der Kinder der 68er ist von den politischen Umbrüchen und gesellschaftlichen Veränderungen weitgehend unberührt geblieben", erklärt Falkenberg.

Lediglich in ihren Einrichtungsstilen versuchen die Miniaturwelten mit der Zeit zu gehen. "In Modefragen geht das Puppenhaus mit der Flower-Power-Zeit." Auch in Stilfragen rund um Architektur und Design hat sich die Spielzeugbranche seinerzeit aufgeschlossen gegenüber den Veränderungen gezeigt. Ganz dufte sind in dieser Zeit beispielsweise helle Bungalows. Die Architektur des Puppenhauses der Firma Bodo Henning greift den Zeitgeist mit Flachdach und Dachterrasse gekonnt auf. "Diese klaren Formen und diese breiten Fensterfronten entsprachen absolut der Vorstellung von einem Traumhaus", ist sich Falkenberg sicher. Selbst die Gestaltung des Interiors von der Bodenvase bis zu den Tischsets atme den frischen Designwind der Studentenbewegung. Kräftige Wandfarben und blumige Stoffe dominieren die Puppenstube der Hippie-Zeit.

Bunter ist das Puppenhaus durch die 68er-Bewegung also auf jeden Fall geworden. Alternative Lebenskonzepte und gesellschaftliche Utopien hat das Puppenhaus dagegen gekonnt links liegen gelassen. Richtige "Flower-Power-Puppenhäuser" mit Protest-Postern an der Wand und Hippie-Büchern auf dem Bett hätten sich wohl auch nur schwerlich verkauft, vermutet Karin Falkenberg sicher zurecht. Richtige "Hippie-Eltern" hätten ihren Kinder wahrscheinlich noch nicht einmal eine flotte Hippie-Barbiepuppe gekauft. Geschweige denn Geld für ein noch so buntes Flower-Power-Puppen-Traumhaus ausgegeben.