Nürnberg
Die Revolution fällt aus

Pussy Riot gastieren in Nürnberg und wollen dort hauptsächlich ihr neues Buch verkaufen

17.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:56 Uhr

Kampf gegen Putin: Pussy Riot präsentieren in diffusem Licht ihre Show, mit der sie seit Monaten auf Tournee sind. - Foto: Hertlein

Nürnberg (DK) Es ist weder ein Punkkonzert noch eine Dichterlesung, es ist streng genommen eine Werbeveranstaltung für das Buch "Tage des Aufstandes" von Maria Alyochina, einst Mitgründerin des russischen Agit-Rock-Kollektivs Pussy Riot. Sie sind seit Anfang des Jahres mit ihrem Projekt "Pussy Riot Theatre" auf Deutschland-Tour.

Maria und ihre drei Mitstreiterinnen zeichnen deftig, schrill, schräg und etwas hausbacken die Geschichte von 2012 nach (Bestandteil des Nürnberg-Gastspiels), als Pussy Riot die Christus-Erlöser-Kirche in Moskau stürmten, 43 Sekunden lang mit ihrem Punk-Gebet für weltweites Aufsehen sorgten und ihr selbstgedrehtes Video ins Internet stellten.

Drei Mitglieder wanderten nach einem Schauprozess ins Straflager. Dort kämpfte die Buchautorin ("Tage des Aufstands", 292 Seiten, ciconia ciconia, 20 Euro) für Menschenrechte und gegen Polizeiwillkür hinter Gittern weiter. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wurden sie 2013 von Präsident Wladimir Putin begnadigt. Maria musste im Dezember 2017 erneut vor Gericht, weil sie sarkastisch die "Jubiläumsfeier" des russischen Geheimdienstes KGB öffentlich mit "Alles Gute zum Geburtstag, ihr Henker" kommentierte - es folgten 40 Sozialstunden.

Dass der Auftritt im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Musikklub im Süden Nürnbergs als ein Ableisten jener Sozialstunden eingeordnet werden kann oder sollte, wäre eine Fehleinschätzung. Eher ist es eine gut inszenierte Buch-Promotion-Aktion. Aber egal wie der Kunstauftritt im Hirsch zu bewerten ist, er zeigt eine mutige Frau auf der Bühne, die harte Zeiten im Straflager hinter sich hat. Anerkennenswert ist, dass sie nach ihrer Freilassung weiterhin öffentlich gegen Putin kämpft und sich nicht verbiegen lässt.

Wann die Performance über rund 70 Minuten im Hirsch losgeht, weiß Veranstalter Peter Harasim vom Concertbüro Franken eigentlich auch nicht so genau, aber er hält an seinem Ritual fest - Weihnachten hin oder her - Lebkuchen an die vier Künstler zu verteilen. Draußen vor dem Szeneklub steht ein blauer Mercedes-Mini-Van, ein älteren Modells vor der Tür, das Gefährt der Künstler.

Während der Aufführung hat man leichte Probleme, den Übersetzungen auf der Leinwand zu folgen und gleichzeitig das Augenmerk auf die Künstler zu richten. Protest als Kunstform, Provokation gegen die russische Obrigkeit. Teils in diffusem Licht gehalten. Aber für welches Publikum, für welche Zielgruppe ist das bestimmt? Weltweit hat Donald Trump Putin längst als Skandalfigur abgelöst.

Um Aufmerksamkeit im Hirsch zu erhaschen, donnert Sänger Kyril Masheka Dutzende Wasserflaschen von der Bühne, das "Bad in der Menge" fällt anders aus, die Besucher der ersten Reihen einschließlich Fotograf sehen wie begossene Pudel aus. Halbnackte Männerkörper, eine genüsslich rauchende Maria, Akteure, die hie und da ihre Gesichter mit gehäkelten Sturmhauben verdecken, fauchende, bedrohlich-aggressive Stimmen, garniert mit Saxofon- und Turneinlagen von Nastya Awott sowie Schlagzeug-Einlagen vom fast nackten Gatten Maxim provozieren im Hirsch niemanden. Skurril, ein bisschen bizarr, ein bisschen Lärm, ein bisschen Performance, ein bisschen Theater - in einem hat Maria Aljochina aber recht: "Es gibt keine Freiheit, wenn man für sie nicht täglich kämpft."

Die Revolution in Nürnberg fällt aus, der Merchandisingstand im Foyer gleicht einem Pussy-Riot-Bazar. Und er bietet, wie der Auftritt, reichlich Gesprächsstoff.

Immerhin wird der Künstler-Kollektiv-Auftritt mit dem von den Stones gesungenen Song "Sympathy for the Devil" eröffnet. Da ging es um den Zaren und seine Minister in Sankt Petersburg - dieses Mal bei Maria und Co. um den verhassten Putin!