Nürnberg
Der steinerne Patient

Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg restauriert Adam Krafts "Kreuzweg" Mit Lasertechnikt wird der Schmutz der letzten 500 Jahre beseitigt

22.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:36 Uhr

Mit einer Laserpistole nimmt Restauratorin Katrin Müller die Ruß- und Schmutzschichten von der siebten Tafel "Beweinung Christi". - Foto: Pelke

Nürnberg (DK) Katrin Müller steht in der dunklen Karthäuserkirche im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und zeigt auf eine mannsgroße Steintafel, die alles andere als gesund aussieht. Mit dicken Verbänden ist die Christusfigur wie eine Mumie umhüllt. "Das war ein besonders komplizierter Patient", erklärt die Restauratorin und steigt mit einem Skalpell in der Hand auf die Leiter.

Vorsichtig löst Müller mit dem scharfen Messer die Mullbinden von der Jesusfigur, die unter der schweren Last des Kreuzes leidet. Den dicken Verband hat die Restauratorin mit einer speziellen Laugenlösung getränkt, die den Schmutz langsam aus dem Stein heraussaugen soll. "Die Oberfläche ist pechschwarz und verbrannt gewesen", erinnert sich die Restauratorin und trennt mit dem Skalpell den Verband, der auf der Innenseite durch den Schmutz im Inneren von Adam Krafts Steinrelief ganz schwarz ist. Während einer der letzten Bombenangriffe auf Nürnberg sei die Stele umgefallen und in den glühenden Schutt geflogen. Dadurch habe sich der Dreck in den Stein regelrecht eingebrannt. Das Relief mit dem Titel "Veronika reicht Christus das Schweißtuch" aus den Kreuzweg-Stationen sei das letzte gewesen, das die Nürnberger aus der Stadt ins Nationalmuseum gebracht hätten. Aus Angst vor dem sauren Regen hätten die schlauen Nürnberger die anderen sechs Tafeln bereits im 19. Jahrhundert nach und nach ins Trockene des Nationalmuseums gebracht und in den Wänden der altehrwürdigen Karthäuserkirche eingemauert, um sie vor dem weiteren Verfall zu schützen.

Viel sehen von den überwältigenden Szenen des Leiden Christi konnten die Museumsbesucher vor lauter Schmutz und Dreck danach freilich auch nicht mehr. Adam Krafts sieben Steintafeln standen immerhin über ein halbes Jahrtausend bei Wind und Wetter draußen unter freiem Himmel. "Der Zustand der sieben Kreuzwegstationen wurde ihrer Bedeutung nicht mehr gerecht", bringt Museumsdirektor Ulrich Großmann das Dilemma auf den Punkt. Mit Unterstützung der Siemens-Kulturstiftung habe man sich vor zwei Jahren entschlossen, den dunklen Schmutz zu entfernen, um die Qualität der einzelnen Steinreliefs und in ihrer Gesamtheit als Ensemble für die Besucher wieder erlebbar zu machen.

Derweil zieht die Restauratorin den schmutzigen Verband vorsichtig von der Figur ab. "Insgesamt waren drei Durchgänge nötig, bis kaum mehr Rückstände auf der Oberfläche zu sehen waren", erzählt Müller und wirft den alten Verband auf den Boden. Zum Vorschein kommt ein Mantel, den Adam Kraft vor über 500 Jahren mit dem Meißel in den Stein gehauen hat. Mit großen Augen steht die Restauratorin vor dem ergreifenden Kunstwerk. "Ich arbeite seit zwei Jahren intensiv an dem Relief. Ich kann immer nur staunen, was Adam Kraft mit diesem Kreuzweg geschaffen hat", sagt Müller voller Bewunderung. An manchen Stellen würde sie nicht einmal mit einem kleinen Pinsel richtig hinkommen. "Diese Stellen hat Adam Kraft mit dem schweren Steinmeißel behauen", sagt Müller anerkennend und zeigt auf die feinen Gesichtszüge der Veronika und die filigranen Faltenwürfe der leidenden Christusfigur. Mit offenen Mündern werden die Menschen im Mittelalter vor dem Kreuzweg gestanden haben. Beim Abschreiten der sieben Stationen zwischen dem Johannisfriedhof und dem Tiergärtnertor werden sie so, wie wir heute von einem Blockbuster im Kino von der Darstellung der Realität begeistert sind, von der überwältigenden Perfektion geschwärmt haben. "Adam Kraft hat die Bilder in der damaligen Jetztzeit gestaltet", erklärt der Leiter der Skulpturensammlung, Frank Matthias Kammel, und deutet auf die Figuren, die so ausschauen, wie normale Nürnberger im Mittelalter eben in ihren Kleidern und Gewändern damals ausgeschaut haben.

Mit dem Kreuzweg sollte religiöse Überzeugungsarbeit geleistet werden. "Mit dem Kreuzweg sollten die Gläubigen auf der emotionalen Ebene gepackt und zum Mitleiden gebracht werden", erklärt Kammel und zeigt auf die mittlerweile wieder hell leuchtenden Steintafeln, die wie riesige Flachbildfernseher an den Kirchenwänden hängen.

An einigen Stellen der großflächigen Steinreliefs sind die alten, dunklen Stellen noch deutlich zu sehen. Bis zum Ende des Jahres will Müller mit ihrer Arbeit fertig sein. Zum Glück seien die anderen sechs "Patienten" nicht so schwierig zu behandeln gewesen wie die im Krieg beinahe total zerstörte und verbrannte Darstellung der heiligen Veronika. "Bei den anderen Tafeln konnte ich die Lasertechnik verwenden", erklärt Katrin Müller und steigt mit der Laserpistole in der Hand auf ein kleines Baugerüst. Dann wandert ein roter Lichtstrahl über die schmerzerfüllten Frauen aus Stein, die die Kreuzigung Christi beweinen. Durch die konzentrierte Energie des Laserstrahls würden die Schmutzpartikel auf der Oberfläche verdampfen, erklärt Müller und schießt mit ruhiger Hand den Dreck von den bildschönen Steinfrauen. Zeile für Zeile habe sie die Steintafel mit dem wenige Millimeter großen Laserstrahl bearbeitet. Zwei Wochen habe sie allein für die "Beweinung Christi" gebraucht. Trödeln durfte sie nicht bei der Arbeit. Allein dieses letzte Steinrelief aus dem Gesamtkunstwerk des Nürnberger Kreuzweges sei staatliche 1,70 Meter breit und 1,50 Meter hoch.

Spätestens im nächsten Jahr sollen die Besucher die ganze Pracht des mittelalterlichen Kreuzweges wieder im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg erleben können. 2018 will das Museum die spannenden Restaurierungsarbeiten auch in einer Ausstellung vorstellen.