Nürnberg
Das Spiel auf der Müllhalde

Nürnberg überrascht im Wagner-Jahr mit einem brillanten "Rheingold" als Eröffnung des "Rings"

01.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:21 Uhr

Nürnberg (DK) Alberich kneift einer Rheintochter in den Hintern. Aber die drei Nixen lassen sich von dem lüsternen Elben nicht einschüchtern. Und haben die Lacher auf ihrer Seite. Da wird Alberich gefoppt, umhergestoßen, verhöhnt. Eine Rheintochter riecht an seinem Schuh und wirft ihn angewidert im hohen Bogen davon, alle drei wollen auf ihm reiten, eine andere zieht ihm die Hose herunter und inspiziert höhnisch sein Gemächt, während er andauernd mit Wasser bespritzt wird. Denn Schauplatz von Richard Wagners „Rheingold“, dem Vorabend der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ in der neuen Nürnberger Inszenierung, ist ein großer Wassercontainer. Dort, versteckt in Behältern, bewachen die Rheintöchter einen Goldschatz, den nur derjenige in Besitz nehmen kann, der für immer auf die Liebe verzichtet.

So lebendig, so komisch, so fantastisch gespielt hat man schon sehr lange keinen „Rheingold“ sehen können. Man muss schon fast an den Bayreuther Jahrhundert- „Ring“ von Patrice Chéreau denken, um eine ähnlich differenzierte Opernregie zu finden, wie diejenige von Georg Schmiedleitner. Vor allem aber gelingt ihm ein ungewöhnlicher, neuartiger Blick auf die Tragödie im Schatten der Götterburg Wallhall. Besonders Alberich, sonst in den meisten Inszenierungen ein alter, tumber Bösewicht, ist kaum wiederzuerkennen. Antonio Yang gibt ihn als jugendlichen Intellektuellen. Mit runden Brillengläsern auf der Nase tapst er vor den Wasserbehältern herum, eine Art großstädtischer Woody Allen, verirrt im Nibelungen-Land, schmächtig, unbeholfen, linkisch. Leichtes Opfer für den Spott der Barbies am Pool. Bis er plötzlich der Liebe abschwört und gierig das Gold raubt, das bei Schmiedleitner und seinem Bühnenbildner Stefan Brandtmayr in einer goldenen Blechtonne steckt. In dem öligen Gold nimmt er gleich ein Bad – vielleicht eine Anspielung auf den eher missratenen jüngsten Bayreuther „Ring“ von Regisseur Frank Casdorf.

Die Stärke von Schmiedleitners Inszenierung ist zweifellos die Personenführung. Er rückt das Geschehen näher an unsere alltägliche Lebenswelt heran. Die verschiedenen gezeigten Welten der Nibelungen-Sage, der Bereich der Götter, die Ebene der Unterwelt mit den Nibelungen und das Reich der Menschen, sie alle sind in ihren menschlichen Facetten kaum mehr zu unterscheiden. So treten die Riesen Fafner und Fasolt in dieser Inszenierung nicht überlebensgroß auf; gewaltig sind allenfalls ihre Taten. Ansonsten sind sie langhaarige Prolls in schlecht sitzenden Anzügen und gelben Gummistiefeln, die bedenkenlos auf Wotans biederer Wohnzimmercouch herumstiefeln. Und die Bewohner der Götterwelt sind ohnehin zutiefst menschlich. Wotan regiert im Morgenmantel die Welt. Als sich alle gerade sehr ernste Gedanken über die Finanzierung der Götterburg machen, sieht man die Burgherren Wotan und seine Frau Fricka still vergnügt ein Wallhall-Modell vom Zuckerbäcker vernaschen.

Aber Schmiedleitners Inszenierung ist oft auch erschreckend drastisch. Als sich der Ring von Alberichs Finger nicht lösen lässt, greift Wotan zur Gartenschere. Freia wird missbraucht von den Riesen zurückgebracht, das Blut läuft ihr über die Schenkel.

So brillant hier die Personen agieren, irritierend ist dieser „Rheingold“ dennoch – denn er spielt auf einer Plastikmüllkippe. Im Vorfeld hatte Schmiedleitner bereits erklärt, er würde die Wagner-Oper als „Öko-Ring“ deuten, es ginge ihm um die ausgebeutete Natur. So viel für diese Interpretation des Wagner-Stoffes auch sprechen mag – sinnfällig wird sie in dieser Inszenierung nicht. Wotans Wohnzimmer zwischen Plastiktüten, die fern abstrakt neonleuchtende Burg Wallhall vor Dreckhaufen, das wirkt störend, unsinnig, überflüssig. Genauso wie der Rhein, der als riesiger verdreckter, algenverseuchter Strom vertikal im Bühnenhintergrund vor den Wassercontainern hängt. Die Spannung des „Ring“-Dramas liegt doch gerade darin, dass eine funktionierende Welt durch Raub, Hass und Machtgier zerstört wird. Bei Schmiedleitner allerdings ist bereits der Ausgangspunkt des Dramas kontaminiert. Aber vielleicht rundet sich das Regiekonzept in den weiteren Teilen der Tetralogie noch zu einem überzeugenden „Ring“.

Musikalisch jedenfalls gelang der Premierenabend überragend. Kurzfristig musste der Starbariton Egils Silins für den erkrankten Wotan-Darsteller Randall Jakobsh einspringen. Und er überraschte das Publikum – weil er in dem fast durchweg vorzüglichen Sänger-Ensemble mit seiner warmen, lyrischen Stimme nicht einmal aus dem Rahmen fiel. Noch mehr Eindruck als er hinterließ Roswitha Christina Müller als ebenso gut aussehende wie wunderbar klar singende Fricka, bei der besonders die feste Stimmführung und die kraftvolle Tiefe auffiel. Fast ein bisschen zu schön sang Antonio Yang den Alberich. Von dieser Rolle erwartet man eigentlich etwas mehr bösartig grollende Bassschwärze. Auch Martin Berner (Donner), David Yim (Froh), Vincent Wolfsteiner (Loge), Taehyun Jun (Fasolt), Nicolai Karnolsky (Fafner), Leila Pfister (Erda) sangen und spielten durchweg besser als man es von einem Opernhaus von der Größe Nürnbergs erwarten kann. Eine brillante, ungewöhnliche Studie lieferte der stimmlich leicht indisponierte Hans Kittelmann als nervöser, ebenso unterwürfiger wie aggressiver Mime.

Ebenso grell, gewitzt, kontrastreich wie auf der Bühne agiert auch die Staatsphilharmonie im Orchestergraben. Kein weich wogender Wagner zum Entspannen, sondern ein aufgerauter, unruhiger, die Personen auf der Bühne mit den Leitmotiven fast schon karikierender Tonfall, den Generalmusikdirektor Marcus Bosch da erzeugt. Eine kongeniale Leistung von Bühne und Orchestergraben: Ein „Rheingold“ der perfekt gezeichneten Details.