Nürnberg
Countdown zum Tode

John von Düffels ergreifende Bühnen-Adaption "Heute bin ich blond" im Staatstheater Nürnberg

18.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:51 Uhr

Aus Solidarität für ihre krebskranke Freundin Sophie (rechts Henriette Schmidt) trägt auch Annabel (Julia Bartolome) Perücke - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Nach der vernichtenden Diagnose Krebs läuft der Countdown zum Tode: erst der Schock, der Fall ins Bodenlose, Angst, Verzweiflung, Wut und Ohnmacht, Depressionen; dann der Trotz, das Aufbäumen gegen die Krankheit, die Verdrängung, das Nicht-Wahrhaben-Wollen, das Selbstmitleid, die Abrechnung mit dem Leben, Suizid-Gedanken, Hadern mit Gott und dem Schicksal. Und die unausweichliche Frage: Warum ich? Die Zeit steht still und rast dahin.

Dann, mit der Therapie, keimt Hoffnung auf und schwindet dahin. Ein Kreislauf, eine endlose Spirale von Hoffen und Bangen, von Angst und Lebenswillen.

In John von Düffels Bühnenadaption „Heute bin ich blond“ (nach Sophie van der Staps autobiografischem Roman und dessen Verfilmung) durchläuft die Bühnenfigur Sophie alle diese Phasen, das Auf und Ab der Krankheit mit Chemotherapie und Bestrahlung – und einer Heilung, nach der man wie auf einem Pulverfass sitzt und auf die nächsten Metastasen wartet.

Das Staatstheater Nürnberg wagt sich mit diesem Stück an das gerade zur Weihnachtszeit heikle Thema; und der Regisseur Karsten Dahlem macht daraus ein grelles, groteskes Melodram, das zu Tränen rührt oder den Zuschauern vor Lachen die Tränen in die Augen treibt. Henriette Schmidt spielt die krebskranke junge Sophie erst als bemitleidenswertes Opfer der Chemotherapie, der büschelweise die Haare ausfallen, die dann aber, nach der Therapie, der Krankheit den Kampf ansagt – und leben will. Weil das aber draußen im Leben, in der Disco und auf Partys, ohne Haare schlecht geht, greift sie zur Perücke, nicht nur zu einer, sondern jeden Tag zu einer anderen. Und ist mal blond, mal braun, mal Marilyn Monroe, mal Lady Gaga, mal Elvis, mal Michael Jackson; aber immer eine neue Person, ein neuer Anfang; und mit jeder neuen Perücke schlüpft sie auch in eine neue Rolle in ein neues Leben – zumindest auf Zeit.

Ihre Freundin Annabel (Julia Bartolome), ihr Pfleger Bastian auf der Krankenstation (Julian Keck) und ihr Arzt Martin (Christian Taubenheim) stehen ihr bei, begleiten sie auf ihrem ekstatischen Trip zwischen Lebenslust und Todesangst. Sophie stellt ihr Leben auf den Kopf, so wie die Bühnenbildnerin Giulia Paolucci die Bühne auf den Kopf stellt und ein chaotisches Durcheinander schafft, das mal Krankenstation, mal Therapiezentrum, mal Disco mal Partykeller oder privater Rückzugsort ist, wo sich Sophie ausweinen und vom Glück träumen kann. Um die Rührseligkeit nicht auf die Spitze zu treiben, wird die Geschichte ins Mikrofon hinein erzählt, spricht man in verfremdendem Stakkato von sich in der dritten Person, passagenweise auch im Sprech-Sing-Sang oder unterlegt das bittere Geschehen mit schwebenden Gitarrenklängen (Musik Georg Praml), die die Schauspieler Julian Keck und Christian Taubenheim live auf ihren E-Gitarren einspielen. Da hätte es der Video-Einspielungen von Straßen-Interviews mit Passanten gar nicht mehr bedurft, um mit banalen Klischee-Fragen den Zuschauern die persönliche Betroffenheit drastisch vor Augen zu führen.

Eine Groteske mit Galgenhumor, die ein irritiertes und spürbar berührtes Publikum mit viel Beifall quittierte.

Weitere Vorstellungen: 21., 26., 30. Dezember; 18., 22., 24., 31. Januar, Kartentelefon (01 80) 5 23 16 00.