Nürnberg
Blut statt Botox

Das Drama "Schönheit" der Georgierin Nino Haratischwili hatte in Nürnberg Premiere

20.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:53 Uhr

Die alternde Gräfin Báthory (Nicola Lembach) und ihr jugendlicher Liebhaber Akos (Frederik Bott) im obsessiven Liebesrausch. - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Was haben "Schneewittchen", Strindbergs "Fräulein Julie", Bram Stockers "Graf Dracula", Ingmar Bergmans Film "Das Schweigen", Genets "Die Zofen", Oscar Wildes Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" und Pasolinis Film "Salò oder die 120 Tage von Sodom" gemeinsam? Selbst dem versiertesten Komparatisten wird auf diese Frage keine Antwort einfallen, es sei denn, er kennt die junge, aus Georgien stammende, in Deutschland lebende Dramatikerin Nino Haratischwili (Jahrgang 1983) und ihr jüngstes Theaterstück, "Schönheit", das sich aus all diesen literarischen und filmischen Sujets bedient und eine theatrale "Reader's Digest"-Fassung liefert.

Jetzt wurde diese Mixtur aus Mysterien- und Hysterienspiel am Staatstheater Nürnberg von Pera Luise Meyer als schrille Groteske in Szene gesetzt.

Es geht ums Altern und den vorwiegend weiblichen Wunsch, schön zu bleiben respektive wieder jung zu werden. Heute erfüllt Frau sich diesen Wunsch mit Botox, vor 500 Jahren mit Blut. Wie etwa, lange vor Graf Dracula, die ungarische Gräfin Báthory, die um 1560 ihre beiden Zofen tötete, um sich an deren jungfräulichem Blut zu laben und damit, ewig jung, ihren jugendlichen Liebhaber an sich zu fesseln. Auf der Bühne der Kammerspiele gelingt dieser Wandel der Gräfin nur bedingt, aber wie die Schauspielerin Nicola Lembach als Gräfin Bárthory ihn vollführt und von der mit den Kiefern malmenden, grau-greisigen, schlaffbrüstigen Alten zur verführerischen, sexuell obsessiven und entsprechend erotisch aufgetakelten Dame im Negligé und Miederhöschen wird, rettet das die eher dünne dramatische Vorlage.

Was man aber auch vom Bühnenbild (Stefan Brandmayr) und den frivolen, ständig wechselnden Kostümierungen der Gräfin (Kostüme: Cornelia Kraske) sagen kann: ein schwüles Boudoir mit ausschweifender Sitzgarnitur für Liebes-, Domestizierungs- und Tötungsspiele, die sich vor einem riesigen Spiegel und einer spiegelnden Plastikfolienwand abspielen, hinter der die Zofen (Lilly Gropper und Bettina Langehein) sowie der Ratsherr (Stefan Lorch), gespenstisch verzerrt, wie Chimären auftauchen. Ein Gruselkabinett des Mystischen, untermalt von sphärischen Klängen, die zur floralen Wandgestaltung passen. Dafür hat die doppeltalentierte Schauspielerin Nicola Lembach riesige Blüten fleischfressender Pflanzen entworfen, ein bizarres Ambiente für ein gruseliges Geschehen, das auch mal in Veitstänzen und schriller Musik ausartet.

Wenn auch diese Effekte den dünnen, verquasten Text nicht mehr tragen, greift Petra Luise Meyer in die Mottenkiste des zeitgenössischen Regietheaters. Die Gräfin mutiert zur Domina, ihr mittlerweile völlig nackter Liebhaber singt nicht nur in Höchsttonlage Arien, sondern muss wie diverse Hunderassen - vom Schäferhund bis zum Pudel - bellen, auf allen vieren ihr zu Füßen kriechen und sich in allerlei Unterwerfungsritualen verrenken. Was sich rächt, denn er entfleucht nach Budapest, wo er Frau und Kind hat sitzen lassen, um sich für deren Unterhalt der reichen Gräfin als Festspielleiter für ein Wohltätigkeitsfest zu verdingen. Zurückgekehrt zur Blutgräfin geht es auch der zweiten Zofe an den Kragen, während die von Gesichten heimgesuchte Gräfin im Wahn und damit in einer horrorstrotzende Amour fou endet.

Der lebhafte Beifall galt wohl weniger dem Stück als der einfallsreichen, wenn auch auf vordergründige Effekte setzenden Regie, bestimmt aber der grandiosen darstellerischen Leistung von Nicola Lembach, die auf der Nürnberger Bühne nur selten zeigen kann, welch große, wandlungsfähige Schauspielerin in ihr steckt.

Weitere Vorstellungen: 30. Dezember; 8., 18. und 26. Januar; 5., 7., 11., 16. und 18. Februar; 15. März sowie im weiteren Verlauf der Spielzeit bis 11. Mai. Karten unter Telefon (01 80) 5 23 16 00.