Nürnberg
Aussichtsloser Kampf

Das Nürnberger Staatstheater zeigt "Der Prozess des Hans Litten" mit Patricia Litten in einer Hauptrolle

11.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:12 Uhr

Kämpft um das Leben ihres inhaftierten Sohnes: Irmgard Litten (dargestellt von Patricia Litten, Nichte des ermordeten Hans Litten und Enkelin Irmgards.) Doch ihr Ansprechpartner bei der Gestapo (Michael Hochstrasser) ist nur scheinbar menschlich. - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Der junge Berliner Rechtsanwalt Hans Litten ließ 1931, zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland, im später so genannten "Eden-Palast-Prozess" gegen Schlägertrupps der SA Adolf Hitler als Zeugen vor Gericht laden. Hitler raste - und rastete vor dem Gericht in Moabit aus.

 1933, am Tag nach dem Reichstagsbrand in Berlin, wurde Hans Litten von der Ge-stapo als "persönlicher Gefangener" Hitlers in "Schutzhaft" genommen und in mehreren KZs misshandelt und gefoltert; im KZ Dachau nahm er sich 1938, körperlich, aber nicht geistig gebrochen, das Leben. Das Staatsschauspiel Nürnberg greift in der einstigen "Stadt der Reichsparteitage" diesen Stoff auf und eröffnet mit der deutschen Erstaufführung des Stücks "Der Prozess des Hans Litten" in einer spektakulären Inszenierung die neue Spielzeit.

Der englische Autor Mark Hayhurst hatte sich schon 2014 des in einer Fernsehdokumentation und in einem Film schon behandelten Themas angenommen. Sein dokumentarisch grundiertes Drama "Taken at Midnight" wurde 2014 in London uraufgeführt. Jetzt erst kam es in Deutschland heraus, nicht zufällig am Nürnberger Schauspielhaus, an dem die Schauspielerin Patricia Litten lange Jahre Mitglied des Ensembles war. In der Inszenierung von Jean-Claude Berutti spielt sie ihre eigene Großmutter, Irmgard Litten, die damals verzweifelt um das Leben ihres Sohnes kämpfte und sich - vergebens - in 20 Gesuchen und Briefen auch an den "Führer" persönlich wandte.

Auf der düsteren, schwarz ausgeschlagenen Bühne (Bühnenbild: Rudi Sabounghi) ist Patricia Litten als Irmgard Litten ständig präsent, mal agierende oder nur als stumme Zeugin im Hintergrund, die ihre Geschichte in rasch wechselnden Szenen gleichsam erzählt und dem Publikum vor Augen führt. Patricia Litten meistert ihre persönlich-verwandtschaftliche Betroffenheit, die man ihrem verhärmten Gesicht ablesen, in ihrer mal brüchigen, dann wieder couragierten Stimme hören kann, mit unvergleichlicher Souveränität, mit der sie ihre leidenschaftlichen Ausbrüche, aber auch ihre Zusammenbrüche, ihre Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit fast verfremdet. Am Ende, nachdem sie ihren zum Krüppel geschlagenen Sohn zum letzten Mal gesehen hat, verschwindet sie im Dunkel der Bühne. Ergreifende, beklemmende Bilder, die auch ein sichtlich betroffenes Publikum in Bann schlagen.

Aber dieser Eindringlichkeit entbehrt die Inszenierung dann, wenn sie die Rahmenhandlung dieser inneren Bewegtheit in mehr oder weniger drastischen, martialischen, ja derben Bildern und Szenen vorführt, die die Drehbühne und ständig sich hebende und senkende Podien im raschen Wechsel gleichsam wie in einem bewegten Bilderbogen, wie in einem Comic vorstellen. Ein paar spärliche Requisiten deuten das Geschehen nur an: die billige Berliner Mietswohnung, das Gestapo-Büro, einen Salon in der Reichskanzlei mit tiefen, ausladenden Lederfauteuils, das stacheldrahtbewehrte KZ, die Häftlingszelle. Dazwischen immer wieder eingeblendet Filme der Nazi-Propaganda, der Reichstagsbrand, die Aufmärsche mit Marschmusik und Nazi-Liedern, die Fahnen, die O-Töne des fanatischen "Führer"-Gebrülls.

Der Stereotypen nicht genug, verkommen auch die mehr aus- als dargestellten Figuren zu Klischees, Karikaturen oder gar ungewollten Parodien: Hitler vor Gericht, was die KZ-Häftlinge nachspielen, verkommt zum "Er ist wieder da"-Zitat, gespielt von Pius Maria Cüppers, der eigentlich den Anarchisten und Revoluzzer Erich Mühsam darstellt, den das Stück zum Mithäftling Hans Littens macht. Letzteren spielt Philipp Weigand als erbarmungswürdiges, seiner Menschenwürde beraubtes Nazi-Opfer; so wie auch Marcus Steeger den anderen Mithäftling, Carl von Ossietzky, spielen muss, dem wenig darstellerischer Raum gegeben wird. Ausgenommen die wortwitzigen Zellengespräche der Nazi-Gefangenen, die ihre Aufseher und Peiniger (Fredrick Bott als SS- und Gestapo-Mann) lächerlich machen. Michael Hochstrasser zeigt als Gestapo-Offizier, zu dem Irmgard Litten immer wieder vordringt, die Fratze gespielter Menschlichkeit; Heimo Essl ein blasser Fritz Litten, der Pragmatismus statt Zivilcourage empfiehlt; und Jochen Kuhl als britischer Lord Allen, der (im Vorgriff auf das Münchner Abkommen der Engländer mit den Nazis 1938) mit Appeasement Hitler einen gewissen Respekt zollt.

Am eindringlichsten ist diese Inszenierung doch, wenn sie authentisch ist, wenn sie das unvorstellbare Leiden einer Mutter zeigt, die wie eine Löwin um das Leben ihres Sohnes kämpft - und verliert. Dem galt wohl auch der begeisterte Beifall des Publikums.

 

Weitere Vorstellungen: 15. und 16. Oktober; 4., 16., 19., 24. und 26. November sowie im weiteren Verlauf der Spielzeit - Kartentelefon (01 80) 5 23 16 00.