Nürnberg
Apocalypse Now am Walkürenfelsen

Georg Schmiedleitner inszeniert in Nürnberg den zweiten Teil von Richard Wagners "Ring des Nibelungen"

13.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:49 Uhr

Brünnhilde reitet das Steckenpferd. Rachael Tovey beeindruckte in Nürnberg mit ihrem kindlichen Charme - Foto: Staatstheater Nürnberg

Nürnberg (DK) Doppelte Ironie: Kaum erklingt zu Beginn des zweiten Aktes der Walkürenritt zum ersten Mal, sieht man Kampfhubschrauber und Jagdflieger über die Monitore gleiten – fast wie bei Francis Ford Coppolas Filmklassiker „Apokalypse Now“ (1979). Dort allerdings begleitete der Wagner-Schlager als munter-makabre Filmmusik Hubschrauberschwärme bei ihrem grausamen Luftangriff auf Vietcong-Dörfer in Vietnam.

In Georg Schmiedleitners Inszenierung der „Walküre“ im Staatstheater Nürnberg lenkt dagegen Göttervater Wotan im Bunker Walhall den Weltkrieg aus sicherer Distanz. Die Bilder ähneln einander, der Wahnsinn der Gegenwart ist in der Nürnberger Inszenierung Sinnbild für Wagners Götterkrieg im „Ring des Nibelungen“.

Im zweiten Teil des Musikdramas rücken Schmiedleitner und sein Bühnenbildner Stefan Brandtmayr wieder das Geschehen so dicht an die Alltagswelt heran wie nur möglich. Damit stehen sie im Fahrwasser der großen Wagner-Regisseure der vergangenen Jahrzehnte, etwa Harry Kupfer oder Patrice Chéreau – ohne allerdings deren ideologiekritischen Überbau zu kopieren, bei denen Wagners Endzeitdrama als marxistisch geprägter Klassenkampf im Nibelungenheim dargestellt wird.

Hintergrund für Schmiedleitners Deutung ist dagegen die Inszenierung einer allgegenwärtigen Ökokatastrophe. Im Vorspiel des „Rings“, im „Rheingold“, erstickte die Welt im Müll, in der „Walküre“ künden fast allgegenwärtige Rauchschwaden über der Szenerie von Verfall und Schlachtgetümmel. Das wirkt wie ein Endzeit-Katastrophen-Film, blutrünstig, als wenn Quentin Tarantino ins Opernfach gewechselt wäre. Wotan hat sich längst im Betonbunker verschanzt. Hundings Hütte ist ein halb-zerbombtes Haus neben einem windschiefen Telefonmasten, statt des düsteren Waldes stapeln sich brennende Autoreifen im Hintergrund.

Schmiedleitners Stärke ist es wieder, die Figuren psychologisch präzise auszuleuchten. So packend geschilderte Charaktere erlebt man nur selten in der Oper. Etwa der über und über tätowierte Macho Hunding, der blutüberströmt mit Hirschgeweih die Bühne betritt und sich genüsslich wäscht, dann seine Frau bedrängt und den Flüchtling Siegmund kaum eines Blickes würdigt. Der, ängstlich, wenig heldenhaft, schäkert Dosenbier spritzend mit Sieglinde. Wunderbar der Ehekrach zwischen Wotan und der damenhaft-attraktiven Fricka, die den Gott grimmig zum Pantoffelhelden degradiert. Sein Machtsymbol, den Speer, erhält er am Ende aus ihrer Hand. Oder die komplexe Beziehung zwischen Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde – voller ernster Konflikte, in denen doch immer wieder die Walküre mit kindlichem Charme und Steckpferd in den Händen den mächtigen Vater bezirzt.

Aber in dieser Inszenierung wurde nicht nur fantastisch gespielt, sondern auch atemberaubend gesungen. Unglaublich, dass dieses Theater nur eine einzige Partie (die Brünnhilde) mit einem Gast besetzen muss. Wo sonst kann ein Opernensemble mit Bordmitteln eine Wagner-Oper stemmen? Am meisten beeindrucken vielleicht Irmgard Vilsmaier als Sieglinde mit ihrer klaren, unverbrauchten, mächtig röhrenden Wagner-Stimme und Antonio Yang, der den Wotan wohltuend differenziert, mit vielen leisen, poetischen Tönen interpretiert. Wunderbar auch Rachael Tovey, die die Brünnhilde niemals (wie sonst üblich) als Stimmorkan darstellt, sondern mit feinen Nuancen überzeugt. Kaum minder grandios Randall Jakobsh als Hunding mit abgründigem Bass, Roswitha Christina Müller als wunderbar selbstbewusste Fricka und Vincent Wolfsteiner als Siegmund mit eher hochtimbrierter Stimme.

Hier scheint sich überhaupt ein neuer Wagner-Stil zu etablieren, weg vom hohlen schwelgenden Pathos hin zu einer eher stürmischen, dramatisch-packenden Sichtweise.

Das ist nicht nur in der Regie, sondern auch bei der Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Marcus Bosch spürbar. Ihr Klang ist nicht transzendent, es wird nichts mystisch zerdehnt, gefühlig zelebriert, sondern lautstark, drängend gewütet oder aber poetisch verhalten verzaubert. Ein faszinierendes Orchester – mal mit Box- und mal mit Samthandschuhen dirigiert.