Norden
"Krimileser sind sehr kritisch"

"Ostfriesenfeuer": Klaus-Peter Wolf legt den achten Fall von Kommissarin Ann Kathrin Klaasen vor

19.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:03 Uhr

Norden (DK) Es hätte nur ein Regionalkrimi werden sollen. „Ostfriesenkiller“ von Klaus-Peter Wolf (60) erschien im April 2007 im Fischer-Verlag. Inzwischen gibt es ihn in der achten Auflage. Mit „Ostfriesenfeuer“ erscheint heute der achte Fall von Kommissarin Ann Kathrin Klaasen (Klaus-Peter Wolf, Ostfriesenfeuer. Der neue Fall für Ann Kathrin Klaasen, 528 Seiten, Fischer-Verlag, 9,99 Euro).

Herr Wolf, „Ostfriesenfeuer“ erscheint mit 120 000 Exemplaren Startauflage: Hätten Sie das vor sieben Jahren gedacht?

Klaus-Peter Wolf: Nein, niemals. Ich habe gedacht, ich schreibe für eine kleine Krimigemeinde, vielleicht noch für Ostfrieslandfreunde. Mit diesem Erfolg hat niemand gerechnet. Ich finde es so faszinierend und hoffnungsvoll, dass Bücher nicht unbedingt von der Kritik entdeckt und nicht von der Werbung angepriesen werden müssen, sondern von Lesern empfohlen werden.

Warum ermittelt Klaasen in Ostfriesland und nicht im Ruhrpott?

Wolf: Ich bin selbst aus Gelsenkirchen, genau wie Kommissarin Klaasen. Als ich ein Kind war, war in Gelsenkirchen schlechte Luft. Ich hatte – wie andere Kinder auch – Asthma. Wir wurden damals nach Ostfriesland „verschickt“. Ich glaube, in Ostfriesland zum ersten Mal Luft bekommen zu haben. Wenn ich später nicht weiter wusste, bin ich immer nach Ostfriesland gefahren. In dieser Weite ging es mir gut, da habe ich meine Dinge geschrieben, wurde gesund.

Der Distelkamp in Norden ist der Wohnort Ihrer Protagonisten und der Ihre. Klaasens Heimat ist Gelsenkirchen, die Ihre auch. Entdeckt man da Autobiografisches?

Wolf: Ja! Ich hätte keine ostfriesische Kommissarin schildern können, die hier geboren ist. Die hätte auch Platt sprechen müssen. Das kann Klaasen nicht. Sie versteht nicht, wenn sich zwei Einheimische unterhalten. Sie hat dadurch den Blick von außen – den Blick der meisten Leser. Sie wundert sich über Dinge, über die sich alle wundern, die hierherkommen.

Ihre Kommissarin hat einen beeindruckenden Charakter. Das könnte am gewaltsamen Tod ihres Vaters liegen, der Klaasen beschäftigt. Wie formen Sie Ihre Charaktere?

Wolf: Das Wichtigste, wenn ich einen Roman beginne, ist die Figurenentwicklung. Nur mit spannenden Figuren kann ich eine tolle Geschichte erzählen. Sowohl Klaasen als auch ihre Kollegen im Polizeipräsidium machen im Lauf der Reihe eine Entwicklung durch. So findet sich der Leser in dieser Welt zurecht. In jedem Roman erzähle ich auch das alte, aber der Leser erlebt die Entwicklung.

Sie sind immer recht aktuell.

Wolf: Weil jedes Jahr ein Roman erscheint. Ich beende einen Roman, der drei Monate später erscheint. Jetzt zum Beispiel schreibe ich für den nächsten Fall gerade an einer Szene, die am 5. Dezember spielt: An jenem Tag war in Ostfriesland eine schlimme Sturmflut. Das ist auch ein Stück Zeitgeschichte.

Angeblich haben Sie ja bereits in der Schulzeit mit dem Schreiben begonnen. Wurden Sie gefördert?

Wolf: Nein, im Gegenteil. Das war mir in der Schule sogar verboten, weil die Lehrer Angst hatten, ich würde mir das im Unterricht ausdenken. Wenn meine Lehrerin an der Tafel etwas angeschrieben hat, reichte ein Wort und meine Fantasie ging auf eine Reise. Da habe ich Schlachten im Weltall erlebt. Das konnte ich anfangs gar nicht beherrschen. Als Kind war das nicht einfach.

Als Schüler haben Sie eine eigene Zeitung gegründet, Lesungen veranstaltet. Hätten Sie gedacht, dass das ihr Beruf wird?

Wolf: Ganz früh sogar. Auf die Frage, was ich werden wolle, antwortete ich stets: Schriftsteller. Das Tolle für mich war, als ich im Alter von 14 auf Schriftsteller traf und denen Sachen von mir gezeigt habe: Die haben mich ernst genommen. Ich denke beispielsweise an Max von der Grün. Von da an wollte ich nichts anderes machen. Ich habe auch Jura studiert, aber nicht, weil ich Rechtsanwalt werden wollte, sondern um bessere Kriminalromane zu schreiben. Ich habe nie eine Prüfung abgelegt, aber Seminare und Vorlesungen besucht. Ich habe mich sozusagen selbst zum Kriminalschriftsteller ausgebildet.

Mit 27 hatten Sie, weil Sie einen Verlag retten wollten, 2,7 Millionen Mark Schulden. Hätten Sie gedacht, es geht wieder aufwärts?

Wolf: Ich war kurz davor, mir die Pulsadern zu öffnen. Zu der Zeit wurde ich Papa. Und mit dem Baby habe ich so etwas wie einen Pakt geschlossen, dass ich das schaffe. Da habe ich ganz viele Fernsehserien geschrieben oder für den „Stern“. Zwölf Stunden an der Schreibmaschine waren normal. Durch die Fernsehserien habe ich gelernt, in Bildern zu denken. Ich versuche, mit jedem Satz ein Bild im Kopf des Lesers zu schaffen.

Sie schreiben auch einfühlsame Kinderbücher. Dann lesen wir von brutalen Mördern. Wie passt das?

Wolf: Man muss genau aufpassen. Ich nutze den Grusel als Fallhöhe für das Lachen und umgekehrt.

Erklären Sie das bitte genauer.

Wolf: Sie gehen mit Weller (der Ehemann Klaasens, die Red.) und Rupert (Mitarbeiter im Kommissariat, die Red.) in die Pathologie in Oldenburg. Da erzähle ich nicht, wie die Leiche zerschnitten wird, sondern aus Ruperts Perspektive. Der guckt sich in der Zeit lieber den Hintern der Putzfrau an, weil er die Leiche nicht sehen will. Zwar gruseln Sie sich als Leser in der Pathologie. Aber aus der Sicht von Rupert hat das Ganze doch etwas anderes. Jetzt gehen sie aus diesem Grusel raus und denken nicht: „Oh Gott, diese Leiche, sondern Rupert, der Idiot“.

Wie entwickeln Sie ihre Morde?

Wolf: Ich studiere auch alte Kriminalakten. Ich erzähle sie aber nie nach. Ich gehe davon aus, dass Sie sich als Leser besser unterhalten fühlen, wenn sie wissen, dass es das Opfer nicht real gab. Ich lasse mich aber durchaus inspirieren.

Klaasen entdeckt in „Ostfriesensünde“, dass sich ihr Vater als verdeckter Ermittler in eine Frauenhändlerszene eingeschlichen hat. Sie selbst haben das ebenfalls getan. Muss authentische Recherche so weit gehen?

Wolf: Ob es immer so weit gehen muss, weiß ich nicht. Aber ich kann nicht recherchieren, wenn ich nur in der Bibliothek sitze oder im Internet surfe. Wenn ich von einem Frauenhändler erzähle, dann möchte ich wissen: Wie sieht der aus, wie riecht der, wie spricht der? Sie werden in meinen Büchern nie eine Person finden, die ich nicht kenne. Ich muss auch wissen: Wie bewegt sich ein Drogensüchtiger? Ich will wissen, wie es geht. Recherche muss aber nicht immer so gefährlich sein.

Wissen Sie schon, wie der nächste Mörder heißt?

Wolf: Ich konstruiere meine Bücher sehr genau. Man kann es mit einem Architekten vergleichen: Der weiß genau, wo eine tragende Wand ist, die er nicht einreißen darf. Aber welche Tapete drauf kommt, das wird später entschieden. Motivlagen, Fehlspuren, Täter, das lege ich vorher fest. Aber die Tapete, die Atmosphäre ist dann literarische Arbeit. Sie können davon ausgehen, dass kein Leser so kritisch ist, wie der Krimileser: Der glaubt erst einmal gar nichts. Es wird jeder einzelne Schritt überprüft. Glauben Sie mir, Leser teilen mir Fehler sofort mit.

Das Gespräch führte

Marco Schneider.