Wo der Jazz daheim ist

12.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:12 Uhr

Vor 25 Jahren begann die Erfolgsgeschichte des Neuburger Jazzkellers. Heute laufen hier 60 Konzerte im Jahr. - Foto: oh

Neuburg (DK) Vor 25 Jahren begann die Erfolgsgeschichte des Neuburger Birdland. Impresario Manfred Rehm gelang damals ein Glücksgriff: Der Club zog ins alte Kellergewölbe der ehemaligen Hofapotheke ein.

Große Teile der Birdland-Geschichte verbergen sich in einem schwarzen Schrank. Er steht in Manfred Rehms Büro. Der Birdland-Chef fördert aus ihm erstaunliche Mengen an Schwarz-Weiß-Fotos, signierten Konzertplakaten oder Programmheften zutage. Mühelos findet der 74-Jährige in seinem beeindruckenden Archiv die passenden Insignien zu dem Konzertereignis, über das er gerade plaudert.

Dass er einmal der Initiator eines international gefragten Jazzclubs sein würde, hätte Rehm sich vor 25 Jahren noch nicht träumen lassen. Damals musste ein neues Lokal für den Club her. Versuche im Keller der Schönen Aussicht oder im ehemaligen Coccodrillo an der Luitpoldstraße waren gescheitert.

Da tat sich unverhofft etwas Neues auf. „Wir haben einen Hinweis bekommen, dass die ehemalige Hofapotheke saniert wird und man dort das Kellergewölbe wiederentdeckt hat“, erzählt der Birdland-Impresario. Ein Jazzkeller im Herzen der Oberen Altstadt? Rehm schlug sofort zu, verhandelte mit der Stadt und dem Investor. Am 1. Februar 1991 war es so weit: Zum ersten Mal ging im nagelneuen Jazzclub ein Konzert über die Bühne.

„Clubkeller ein Glücksgriff: Komplimente aus aller Welt“, titelte unsere Zeitung ein Jahr später. Die Erfolgsgeschichte des Birdland hatte sich damals schon angebahnt. Schnell wuchs das Programm auf rund 50 Konzerte im Jahr an, Weltstars des Jazz gaben sich die Klinke in die Hand. 2000 trat der Gitarrist John Scofield im Birdland auf. Er wandte sich am Ende seines Konzerts ans Publikum: „Ich wollte nur sagen, dass ich schon lange hier spielen wollte. Ihr wisst hoffentlich alle, was ihr an diesem Platz habt. So etwas gibt es in ganz New York, in ganz Amerika nicht, glaubt mir!“ 2001 sprach unsere Zeitung von einem „Jazzmärchen“.

Manfred Rehm ruhte sich allerdings nicht auf seinen Lorbeeren aus. Da auf den 13,5 Quadratmetern Bühne keine Big Band unterzubringen war, veranstaltete er Konzerte mit großen Formationen im Ingolstädter Audi-Forum. Mit der After-Work-Jazz-Lounge schuf er eine Auftrittsmöglichkeit für Solisten und Duos. Dazu kamen CD-Produktionen und Rundfunkaufnahmen. Mit dem „Birdland Radio Jazz Festival“ hat er außerdem ein Format gefunden, bei dem einige Konzerte es als Mitschnitte ins Radioprogramm des Bayerischen Rundfunks schaffen. „Damit haben wir ein Multiplikationssystem, das einmalig ist“, sagt Rehm zufrieden.

An den alten Hofapothekenkeller erinnert heute noch ein Teil der Zisterne, beleuchtet und unter Glas. Darin sitzt ein kleiner bronzener Drache von Künstlerin Alexandra Fromm. „Der Basilisk war im Mittelalter der Zisternenwächter“, erklärt Rehm. „Heute muss er nur noch aufpassen, dass die Musiker auch ordentlich spielen.“ Das haben sie wohl getan. Die beeindruckende Bilanz nach 25 Jahren Jazzkeller lautet: 1500 Konzerte mit 7000 Musikern und rund 90 000 Besuchern.

DAS ERSTE KONZERT

Als Dusko Goykovich am 1. Februar 1991 die Bühne im nagelneuen Jazzclub betritt, wird es spannend. Keiner weiß, ob die Akustik im Gewölbe der ehemaligen Hofapotheke den Ansprüchen internationaler Musiker genügen wird. „Volles Risiko“ nennt Birdland-Impresario Manfred Rehm das Vorhaben. Goykovich ist begeistert. „Der Neuburger Club ist wirklich eine Ausnahmeerscheinung“, sagt der serbische Trompeter heute. „Die Leute hier wissen, was Jazz ist. Und es ist für einen Jazzmusiker dann wirklich eine Freude, für sie zu spielen.“ Der 84-Jährige tritt in renommierten Clubs in Europa, den USA und Japan auf. Auch in Neuburg ist er oft, das Birdland punktet für ihn mit Atmosphäre und dem Programm: „Jede Gruppe hat ein Gesicht.“

LEIDENSCHAFT SEIT 1958

schon mit 17 Jahren hatte die Liebe zum Jazz den Neuburger Schüler Manfred Rehm gepackt. Im Jahr 1958 gründete er zusammen mit Freunden den Verein „Birdland Jazz-Club“. Die Jugendlichen hörten zusammen Radio und Schallplatten. Die ersten Konzerte veranstalteten die jungen Wilden – in Neuburg sah man den Jazz zunächst sehr skeptisch – im Café Huber. Vorsitzender war damals Helmut Viertl. Der ging später berufsbedingt nach Burghausen und gründete dort die „Internationale Jazzwoche“, eines der renommiertesten europäischen Jazzfestivals. Der Neuburger Verein ruhte zwischenzeitlich. 1985 weckte Manfred Rehm den Club aus seinem Dornröschenschlaf und führt seitdem als Vorsitzender seine Geschicke.

EINE ROSIGE ZUKUNFT

Zukunftsangst kennt Manfred Rehm nicht. Einige Aufgaben wie Technik und Musikerbetreuung hat der 74-Jährige schon abgegeben. Etwa 2000 Stunden im Jahr investiert Rehm derzeit für das Birdland – ehrenamtlich. Das Nachfolgeproblem ist vor allem ein finanzielles: Man müsste wohl jemanden anstellen. „Da setze ich aber auf das Glück, das wir bisher gehabt haben.“ Um den Jazz macht Rehm sich keine Sorgen. Ins Birdland kommt auch viel junges Publikum. Immer wieder sind hervorragende Nachwuchsmusiker zu Gast, die Hoffnung für die Zukunft machen. „Jazz ist die legitimste Kunstform unserer Zeit“, findet der Birdland-Chef. Die Musik basiere wie unsere moderne Welt auf Spontanität und sei für alle Nationalitäten offen.

EIN EDLER FLÜGEL

Ein Blick ins Birdland-Gästebuch: „Also so was! Bösendorfer! Und was für einer! In einem Jazzclub!“, schreibt der ungarische Pianist Emil Spányi. Tatsächlich hat der Neuburger Club mit seinem edlen Flügel ein Alleinstellungsmerkmal. Birdland-Chef Rehm wollte 1991 eigentlich einen Steinway anschaffen, doch die um Rat gefragten Jazzpianisten plädierten für Bösendorfer. Legende Oscar Peterson spielte die Instrumente in Wien höchstpersönlich an, der amerikanische Pianist Larry Porter wählte dann aus. In der Konzertserie „Art of Piano“ sind seitdem über 170 der erlesensten Tastenkünstler aufgetreten. Im Gästebuch häufen sich die Lobesworte für den jazztauglichen Klang des Instruments: „Euer Flügel geht ins Herz.“

JAZZ WIRD GREIFBAR

An Tisch 10 sitzt eine blonde Frau mit einem Skizzenbuch. Sie zeichnet Szenen mit Musikern, die sie faszinierend findet. Den Kontrabassisten mit den großen Händen oder den Saxofonisten, der ganz in sich versunken scheint. Alexandra Fromm wohnt seit sechs Jahren in Neuburg. „Das Birdland hat mir sofort gefallen“, sagt die Künstlerin. Seit ihr Mann sie zu Konzerten in den Jazzclub mitgenommen hat, sind die beiden Stammgäste. Bald begann sie, bei Konzerten mitzuzeichnen. „Es hat mich gereizt.“ Als Clubchef Manfred Rehm das bemerkte, reservierte er ihr einen Platz an einem Tisch ganz vorne. Fromm kommt auch mal zu Avantgarde-Konzerten, bei denen sie nicht weiß, was sie erwartet. „Ich bin ja von Beruf aus neugierig.“