Neuburg
Unser aller Gott

Mit seinem Oratorium "Lumen" strebt Robert Helmschrott einen interreligiösen Dialog an Uraufführung in Neuburg

24.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:27 Uhr

Ein besonderes musikalisches Ereignis zum Reformationsjahr: In Neuburg wurde Robert Helmschrotts "Lumen" uraufgeführt. - Foto: Weinretter

Neuburg (DK) Am Ende des Konzerts rieb sich so mancher Zuhörer im Neuburger Kongregationssaal verwundert die Augen - als nämlich vor der Zugabe Dirigent Franz Hauk eröffnete, dass das abschließende "Halleluja" von Robert Maximilian Helmschrotts Oratorium "Lumen" keineswegs israelische Folklore sei - sondern eine Eigenkomposition. Ein Satz, so süffig, wie man es einem klassischen zeitgenössischen Komponisten kaum zutraut.

So musikantisch wiegend, so mitreißend melancholisch, wie vielleicht nur jüdische Volksmusik sein kann. Und so gar nicht passend zu einem klassischen Oratorium.

Aber was ist schon passend? Und wie sollte überhaupt heute ein Oratorium klingen?

Bei Helmschrott, dem 79-jährigen emeritierten Münchner Kompositionsprofessor, passen die herkömmlichen Kategorien und Vorstellungen von Kirchenmusik ohnehin kaum. Zumindest nicht bei "Lumen".

Denn Helmschrott versucht etwas Einzigartiges: Er will die harten Grenzen der großen, auf Abraham zurückgehenden Religionen musikalisch überwinden. Er will Frieden zwischen Judentum, Christentum und Islam stiften. Weil all diese Religionen, auch übrigens der Protestantismus und der Katholizismus, als eine "Reformation der Reformation der Reformation der Reformation" (wie es im Programmheft heißt) zu begreifen seien und auf den gleichen Urvater zurückgehen, auf Abraham. Sein Werk nennt Helmschrott deshalb auch einen "musikalischen interreligiösen Dialog".

Helmschrott hat ein Libretto kompiliert mit Zitaten aus all diesen Weltreligionen sowie von großen Dichtern und Denkern wie Kant, Goethe und Brecht. Der Anspruch ist ebenso originell wie geradezu überwältigend ambitioniert. Es ist ein Versuch, Religiosität noch einmal neu zu denken. Man kann leicht bei einem so ehrgeizigen Projekt scheitern.

Helmschrotts Oratorium ist dabei so eklektizistisch wie sein Textbuch. Es besteht aus Anleihen, Stilimitationen, Verfremdungen, musikalischer Mimikry. Daher ist das folkloristische Ende eigentlich kaum verwunderlich, es ist nur der letzte Ausdruck einer Reise durch die Musikgeschichte. Danach kann nur ein in Ewigkeit allmählich verlöschender Klang folgen, eine schimmernde Akkordfolge, die Helmschrott selbst am Klavier spielt. Das übrige Oratorium ist durchdrungen von Anspielungen auf gregorianische Choräle und synagogalen Gesang, auf Muezzin-Rufe und Moderne. Aleatorische, chaotische Passagen wechseln mit fast romantischem Überschwang. Lauter kurze Sätze, immer bezogen auf ein Zitat, ein Wechselbad der Stile und Stimmungen. Das alles ist packend komponiert, eingängig, abwechslungsreich, oft sehr dramatisch und laut, eher selten kontemplativ. Chorszenen wechseln mit kurzen arienhaften Einschüben, Sprechgesang, fast rezitativischen Abschnitten und wilden Orchesterzwischenspielen.

Man könnte Helmschrott vorwerfen, dass er seine Zitate fast beliebig nebeneinanderstellt, dass er sie kaum reflektiert oder musikalisch verarbeitet. Dass sich aus der Montage kaum ein ganzheitliches Bild ergibt. Dass auch die Musik nicht in der Lage ist, die Elemente der verschiedenen Religionen zu synthetisieren. Dass ein Höhepunkt, ein Moment der musikalischen Vereinheitlichung fehlt. Aber vielleicht ist das auch nicht gewollt. Die Religionen stehen in ihrem eigenen Charakter nebeneinander, wechseln sich ab, führen einen Dialog, ohne ihre Identität zu verlieren, vielleicht auch ohne ein Ziel zu haben.

Franz Hauk am Dirigentenpult führte das Oratorium zügig, gut fassbar und mit großer Übersichtlichkeit zusammen mit dem Concerto de Bassus, dem Simon-Mayr-Chor und zahlreichen, im Chor vertretenen hervorragenden Gesangssolisten auf. Eine Musik, die das Publikum packte und die am Ende mit Ovationen gefeiert wurde.

Eine Musik aber auch, die durchaus bestehen kann neben Bachs genialem "Magnificat", das Hauk im historischen Originalklang vor der Pause präsentierte. Auch das ein Triumph: Hauk dirigierte das wunderbare Werk drahtig, musikantisch, mit fast tänzelnder Leichtigkeit. Ein erhebender Ju-belgesang, eine Verherrlichung Gottes. Und ein ganz anderes Verständnis von Religion und Musik, als es das Publikum bei Helmschrott erleben konnte.

 

Weitere Aufführungen: 29. September, 20 Uhr, Weilheim, Kirche Mariä Himmelfahrt; 30. September, 20.15 Uhr, München, Kirche St. Ursula; 3. Oktober, 11 Uhr, Ingolstadt, Asamkirche Maria de Victoria; 7. Oktober, 19 Uhr, Spalt, Kirche St. Nikolaus; 8. Oktober, 20 Uhr, Berlin, St. Elisabeth.