Pfaffenhofen
Muttersuche als große Literatur

18.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:34 Uhr

Zog alle Aufmerksamkeit auf sich: Peter Wawerzinek las aus seinem preisgekrönten Buch "Rabenliebe" im Rahmen des Festivals "Fliesstext10". - Foto: oh

Pfaffenhofen (DK) Auch wenn die deutsche Einheit gerade erst 20 Jahre alt geworden ist, kann man das Kapitel der Teilung in zwei deutsche Staaten und Gesellschaftsformen wohl immer noch nicht als völlig abgeschlossen betrachten. Insbesondere die Literatur hat sich in den letzten Jahren hervorgetan, die Geschichte der beiden deutschen Staaten als Thema aufzugreifen.

Peter Wawerzinek war zwei Jahre alt, als seine Familie in die Bundesrepublik floh und ihn und seine Schwester in der DDR zurückließ. Aufgewachsen in verschiedenen Kinderheimen und bei Adoptiveltern, betätigte er sich später künstlerisch in der Ostberliner Kulturszene. Im Rahmen des Kulturfestivals "Fliesstext10" las der Schriftsteller aus seinem Roman "Rabenliebe", in dem er seine Lebensgeschichte literarisch verarbeitet hat.
 

Die Kulturhallen der Stadt Pfaffenhofen sind kalt an diesem Abend, doch die Zuhörer hängen an Wawerzineks Lippen. Das liegt nicht nur an seiner angenehmen Stimme, sondern vor allem an der unglaublichen Sprache dieses außerordentlichen Textes. "Rabenliebe" ist mit seinen autobiografischen Zügen und seiner Erzählweise ein großes Werk Literatur. Ein Textausschnitt des Romans wurde sogar mit dem diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Ohne Umschweife beginnt der Autor vorzulesen. Man hört von der Kindheit in den Heimen, von den Adoptionsversuchen und dem Schmerz der Mutter- und Vaterlosigkeit. "Die Erinnerung stirbt zuletzt" heißt es an einer Stelle. Dabei sind die kindlichen Erlebnisse mit Fragmenten von Kinderliedern und Gedichten angereichert, die Wawerzinek sogar in einem Singsang vorträgt (er selber war Sänger in einer Punkband). Er lernte das Sprechen erst mit vier Jahren. Die Erlebniswelt des kleinen Protagonisten ist geprägt von den Vogelstimmen und der permanenten (Zwangs-)Gemeinschaft im Kinderheim.

"Seelenliteratur" nennt Kulturreferent Steffen Kopetzky das Buch im folgenden Gespräch mit dem Autor. Der erzählt vom Entstehungsprozess, der langen Arbeit an seinem Buch, dem Erfolg und seinem Erstaunen über den Bachmann-Preis. Sogar vom Treffen mit seiner echten Mutter berichtet Wawerzinek, das für ihn ein Anstoß für das Schreiben von "Rabenliebe" war.

Auch das Ende gerät ungewöhnlich. Mitten im Schluss der Lesung beginnt der Autor eine Art Improvisation, in der er sich bei seinem Publikum bedankt und verabschiedet. Nach anderthalb Stunden Lesung gab es kräftigen Applaus für ein besonderes Stück Literatur.