München
Grandios aus der Zeit gefallen

Bob Dylans begeisternder Auftritt zum Auftakt des Münchner Tollwood-Festivals

02.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:31 Uhr

München (DK) Ein wandelnder Widerspruch, teils Wahrheit, teils Erfindung: So hat Kris Kristofferson, selbst ein Sänger und Songschreiber von hohen Gnaden, den Protagonisten seines Liedes „The Pilgrim, Chapter 33“ beschrieben. „A walking contradiction, partly truth and partly fiction“ – ob Kristofferson bei diesen Zeilen Bob Dylan im Sinn hatte, ist nicht bekannt.

Verwunderlich wäre es nicht. Denn bei kaum einem anderen Künstler ist die Grenze zwischen Leben und Legende, zwischen realer Person und Kunstfigur so fließend wie bei dem 73-Jährigen. Rastlos zieht Dylan auf seiner „endlosen Tour“ um die Welt, längst ist er zu jenem Outlaw geworden, als der er sich schon in jungen Jahren gerierte: scheinbar unberührt von den Zeitläuften, Lichtjahre entfernt von den Zumutungen des Pop-Geschäfts.

So war denn auch sein Auftritt am Dienstagabend in der mit 5500 Besuchern ausverkauften Musikarena des Münchner Tollwood-Festivals grandios – und grandios aus der Zeit gefallen. Zwei Stunden lang raunte er einem begeisterten Publikum Moritaten, Schnurren und Schauergeschichten ins Ohr. Folk und Blues, Jazz und Country sind die Idiome, mit deren Hilfe er seine Stories aus einem alten, unheimlichen Amerika ausbuchstabiert – kongenial begleitet von einer famosen, subtil swingenden, stets hoch konzentriert agierenden Band um den Bassisten und musikalischen Direktor Tony Garnier.

Bisweilen fühlt man sich an die „Theme Time Radio Hour“-Show erinnert, in der Dylan bis vor einigen Jahren regelmäßig obskure Platten aus den 30er Jahren bis zur Neuzeit auflegte und eine Radio-Sendung zur Kunstform adelte. Während etwa die Rolling Stones immer noch mit großem Erfolg eine Greatest-Hits-Tour auf die andere folgen lassen, verzichtete Dylan auch in München auf all die Klassiker, die ihn berühmt gemacht haben. Einzig „She Belongs To Me“ sowie – pflichtschuldigst als Zugaben dargeboten – „All Along The Watchtower“ und „Blowin’ In The Wind“ ließen für einen Moment so etwas wie Nostalgie aufkommen. Zwei weitere Evergreens in Dylans Repertoire, „Tangled Up In Blue“ und „Simple Twist Of Fate“, wurden an diesem Abend radikal dekonstruiert und völlig neu zusammengesetzt.

Ansonsten bewegte sich der Künstler kompromisslos im Hier und Jetzt. Sechs Songs entstammten dem aktuellen Album „Tempest“, zwei – „Beyond Here Lies Nothing“ und „Forgetful Heart“ – dem unterschätzten 2009er Werk „Together Through Life“. Dass er mit dieser Auswahl die Erwartungshaltung mancher Fans unterlaufen könnte, nimmt Dylan in Kauf. Die euphorischen Reaktionen des Publikums in München gaben ihm allemal recht. Es scheint, als würde nach all den Jahren seine Maxime endlich Gehör finden: Die Zeiten ändern sich – und er sich mit ihnen.