München
Zwischen Puppenspiel, Video und surrealer Erotik

Jan Friedrich inszeniert Frank Wedekinds Jugendstildrama "Frühlings Erwachen" an der Münchner Schauburg

22.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:55 Uhr

Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" als morbides Puppenspiel: Szene aus der Inszenierung von Jan Friedrich an der Münchner Schauburg. - Foto: Buss

München (DK) Die Zensur schlug kräftig zu. Wegen all seiner "Obszönitäten" durften nur Erwachsene in geschlossenen "Liebhabervorstellungen" dieses 1890/91 verfasste Drama sehen. Erst 15 Jahre später (unter Weglassung dreier "unzüchtiger Szenen") von Max Reinhardt in Berlin unter Tumulten offiziell uraufgeführt, kam es auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder zu Skandalen und Bühnenverboten.

Psychologisch aufs Feinste und dramatisch aufs Packendste zeigt der "Bürgerschreck" Frank Wedekind (1864-1918) in dieser "Kindertragödie" (so der Untertitel) die zwischenmenschlichen Probleme und sexuellen Nöte der Pubertierenden ebenso realistisch auf wie die Verlogenheit und Heuchelei der prüden Elterngeneration (samt der autoritären Unterdrückungsmechanismen der "Pädagogen") der 1890er-Jahre: Moritz Stiefel nimmt sich das Leben, weil er nicht in die nächsthöhere Klasse versetzt wird, Melchior Gabor wird wegen der intensiven Lektüre eines "Beischlaf-Bilderbuchs" von der Schule verwiesen und in eine "Korrektionsanstalt" gesteckt, während Wendla Bergmann, deren Mutter hartnäckig behauptet, dass der Storch die Kinder bringe, von Melchior ein Kind erwartet und unter den Händen einer Engelmacherin stirbt, die hier ganz symbolisch von einem Storch verkörpert wird.

Ob diese Tragödie über Heranwachsende der 1900er-Jahrhundertwende in den Zeiten heutiger Aufklärung und Übersexualisierung durch Werbung und in den Medien überhaupt noch aktuell ist, darüber gab es bei all den Aufführungen der letzten Jahre immer wieder hitzige Diskussionen.

Doch der Regisseur Jan Friedrich (Jahrgang 1992), der Wedekinds Stück nun in der Münchner Schauburg inszenierte, ließ die Aufklärungsdefizite der damaligen Zeit nicht nur ironisch abtropfen, sondern er schuf eine Mixtur aus Puppen- und Maskenspiel, durchsetzt mit reichlich Videoszenen. Wie Roboter und Playmobilfiguren staksen die Schauspieler mit eckigen Bewegungen über die Bühne. Ihre Gesichter sind mit Puppenmasken bedeckt und die Dialoge sprechen sie nicht selbst, sondern die übrigen Schauspieler abwechselnd über Mikrofone. Einen Verfremdungseffekt will der Regisseur hiermit erzielen, die Entpersönlichung und die Distanz der Figuren zu den von ihnen dargestellten Personen damit aufzeigen. Surreal ist diese Trennung von Körper und Stimme, aber auch verwirrend, zumal die gerade an den Mikrofonen Tätigen mit übertrieben hysterischer Fistel- und monoton-nerviger Computerstimme die Texte herausplärren oder herunterspulen. Und wenn die Protagonisten ihre Babymasken fallen lassen, agieren sie in einer fast schon ans Lächerliche grenzenden Hyperdramatik.

Da setzen wenigstens die mit Handkameras live gefilmten und auf die Großleinwand mit Motiven eines historischen Schulzimmers, der feudalen Puppenwohnstube der Familie Bergmann und eines geheimnisvollen Waldes projizierten Szenen einige Ruhepunkte, die faszinieren. Und ein starkes Schlussbild dazu: Als in Neonfarben leuchtende Skelette lauschen Wendla (Helene Schmitt), Moritz (Pan Aurel Bucher) und Melchior (Janosch Fries) im Jenseits den Worten des mysteriösen Vermummten Herrn (Anna Mattes), der nicht den Tod, sondern das Leben verkörpert. Eine gespenstische Schlussapotheose, die gewaltig berührt.

 

Die nächsten Aufführungen an der Münchner Schauburg sind am 1. und 4. Februar. Karten und Termine für Schulaufführungen unter Telefon (089) 23 33 71 55.