München
Zoff beim Leichenschmaus

Tina Lanik inszeniert "Eine Familie" im Münchner Residenztheater

06.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:06 Uhr

München (DK) Langsam trudeln sie alle im Haus ihrer Eltern ein, die drei erwachsenen Töchter Barbara, Ivy und Karen mit ihrem jeweiligen Anhang. Ihr Vater Beverly Weston ist vor ein paar Tagen tot aufgefunden worden. Unfall oder Selbstmord? Die Polizei ermittelt und rätselt noch über die Todesursache des Universitätsprofessors und bekannten Schriftstellers, der unter Alkoholsucht und Depressionen litt.

Doch die Ehefrau und die von weither angereisten Familienmitglieder, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben, wollen ehren- und pietätvoll Abschied nehmen. Alle richten sich daher in Westons Landhaus in Oklahoma mit dem großzügigen Küchen- und Wohnbereich im Parterre und den schmucken zweistöckigen Galerien (Bühnenbild: Jens Kilian) als vorübergehende Aufenthalts- und Schlafplätze kommod ein. Reminiszenzen an Kindheits- und Jugendjahre inklusive.

„Trautes Heim, Glück allein“ Nein, das war einmal. Denn all die verdrängten Kindheits-Frustrationen und Geschwister-Demütigungen von ehedem, die über Jahre und Jahrzehnte aufgestauten Lebenslügen mitsamt den aktuellen Eheproblemen und Animositäten zwischen den angeheirateten Familienmitgliedern brechen in diesem Trauerhaus geradezu explosionsartig aus. Zoff und Horror schließlich beim Leichenschmaus. Und davon nicht zu wenig: gegenseitige Vorwürfe en masse und en detail. Mittendrin die Mutter der drei so unterschiedlichen Töchter und Gattin des Toten, die – selbst krank und tablettenabhängig – als exzentrische, herrschsüchtige Mutterglucke den Unfrieden im Hause Weston kräftig befeuert.

Dem amerikanischen Autor Tracy Letts (Jahrgang 1965) gelang mit „Eine Familie“ nicht nur ein Erfolgsstück für den Broadway, sondern auch eine Filmvorlage, die als Hollywood-Soap („Osage County“ mit Meryl Streep und Julia Roberts) Furore machte.

Nach den großen Theatererfolgen in Wien und Berlin inszenierte Tina Lanik diesen Bühnenrenner nun als – zwar mit drei Stunden Dauer leider etwas zu lang geratene – spritzig-witzige Milieustudie mit subtiler Seelensezierung dieser restlos kaputten Sippschaft aus dem amerikanischen Mittelwesten im Münchner Residenztheater. Klischees inklusive: Barbara Melzl und Wolfram Rupperti geben mit Lust auf Provokation das Proll-Ehepaar ab, Katrin Röver ist die nervig-zickige Superblondine, deren dreimal geschiedener Verlobter (Aurel Manthei) die Rolle des Womanizer-Hallodris herrlich ausfüllt und mit dem ach so coolen Teenie-Pummerl (Marie-Therese Fischer) kräftig anbandelt. Arthur Klemt ist der intellektuelle Pantoffelheld Bill, der sich von seiner Frau Barbara stets schurigeln lassen muss und dagegen – natürlich erfolglos – ankämpft. Diese exzentrische älteste Welton-Tochter, die im Verlauf des Abends mit allem und allen radikal abrechnet, verkörpert Sophie von Kessel geradezu hinreißend. Eine schauspielerische Glanzleistung, die ebenso fasziniert wie Charlotte Schwabs Darstellung der matriarchalisch-dominanten Weston-Witwe. Dazu als köstlich ruhender Pol in dieser nicht nur verbalen Familien-Schlammschlacht Amanda da Gloria als Haushälterin, die all die Scherben dieses chaotischen Familientreffens aufkehren darf.

Enthusiastischer Schlussapplaus der Premierenbesucher. Ein großer Publikumserfolg noch kurz vor dem Ende der Spielzeit.

Vorstellungen am 7., 23. und 31. Juli. Kartentelefon (0 89) 21 85 19 40.