München
Zerstörte Hoffnungen

Gorkis "Kinder der Sonne" zum Saisonauftakt im Residenztheater

24.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:27 Uhr

München (DK) Als Lumpensammler, Tellerwäscher, Stallbursche und Bierkutscher musste er sich als Jugendlicher verdingen und wurde wegen seines Rebellierens gegen die zaristische Herrschaft und wegen seines revolutionären Kampfliedes "Sturmvogel" mehrmals ins Gefängnis gesteckt. Kein Wunder, dass diese Erlebnisse den Lebensweg von Alexej Maximowitsch Peschkow geprägt haben, der unter dem Pseudonym Maxim Gorki (1868-1936) seine Erzählungen, Romane und Theaterstücke als ebenso authentische wie aufrüttelnde Musterbeispiele des sozialistischen Realismus' geschrieben hat.

Nach seinem ersten Theaterstück "Die Kleinbürger" vom Jahre 1902, einer gallig satirischen Abrechnung mit den unpolitischen Spießern und egoistischen Angepassten, die das herrschende System in Russland stützen, nach "Nachtasyl" und "Sommergäste" verfasste Gorki im Jahre 1905 die Tragikomödie mit dem ironischen Titel "Kinder der Sonne". Denn glückliche Menschen sind die Mitglieder dieses Protassow-Clans wirklich nicht, sondern in Anlehnung an die Figuren der Dramen von August Strindberg und Henrik Ibsen allesamt gescheiterte Existenzen in einer dekadenten Gesellschaft. Und gefangen in ihrem kleinbürgerlichen Denken und ihren eigenen Problemen erkennen sie nicht, was in Staat und Gesellschaft sich abzeichnet: die proletarische Revolution.

Zu glücklichen "Kindern der Sonne" will der Chemieprofessor Protassow als eine Mischung aus Faust und Dr. Mabuse die Menschheit mit seinen Experimenten machen, weshalb in seiner Großraum-Dachkammer (Bühnenbild: Patrick Bannwart) eine Unzahl von an den rissigen Wänden gepinnten Skizzen, Zeichnungen und To-do-Listen neben den auf zahlreichen Tischen platzierten Reagenzgläsern, Phiolen und Kanistern von den Visionen dieses Menschheitsbeglückers künden. Doch bei all seinen Forschungen vergisst der wackere Herr Professor die Beziehung zu seiner Gattin. Nicht nur eheliche Irritationen steigern sich hier ganz gewaltig, sondern auch andere zwischenmenschliche Probleme türmen sich auf: Protassows spätpubertierende Schwester Lisa (Mathilde Bundschuh) verfällt dem Wahnsinn, nachdem ihr Freund (Till Firit), der um ihre Liebe vergeblich buhlt, Selbstmord begangen hat.

Dramatik pur, die Regisseur David Bösch jedoch zu einem ironisch unterlegten, intelligenten Theaterabend gerinnen ließ. Bürgerliches Glücksstreben gerät hier zur Farce, und Revolutionäres wird kritisch hinterfragt. Vor allem jedoch ist dieser Auftakt zur neuen Münchner Theatersaison ein Fest großer Schauspielkunst, wenngleich Bösch bisweilen vor Klischees in der Personenzeichnung nicht zurückschreckt: So lässt er beispielsweise das Dienstmädchen (Pauline Fusban) als Kaugummi kauende Göre und deren Lover (Max Koch) als prolligen Macho als Kontrast zur bourgeoisen Scheinidylle auftreten. Doch restlos überzeugend zeigt Norman Hacker den von seinen wissenschaftlichen Forschungen erfüllten Chemieprofessor Protassow auf, der bei seinen Visionen von den zukünftigen Kindern der Sonne vergisst, dass er auch verehelicht ist.

Wen wundert es da, dass dessen frustrierte Gattin Jelena (Hanna Scheibe als ebenso stets elegant gekleidete wie romantisch veranlagte Frau auf Selbstfindungstrip) ihr Glück zunächst bei dem Maler Dmitrij (Aurel Manthei), einem ausgeflippten Freund des Hauses, sucht. Dazu himmelt Katharina Pichler als Halbschwester des späteren Selbstmörders den Herrn Professor so intensiv wie ergebnislos an, während ein schmieriger Grundstücksspekulant (Joachim Nimtz) die heruntergekommene Protassow-Villa weit unter Wert kaufen will. Dass dieses Haus der zerstörten Hoffnungen zur günstig zu erwerbenden (Ab-)Bruchbude wird, dafür sorgen Jegor, der Schlosser, und dessen Genossen, die aus Wut auf die abgewirtschaftete bürgerliche Gesellschaft am Ende alles kurz und klein schlagen. So arbeitet die Revolution dem Kapitalismus in die Hände. Kann dieser Schluss dieser Tragikomödie wirklich Intention des Lenin-Freundes und Kommunisten Maxim Gorki gewesen sein?

 

Weitere Vorstellungen: 29. September, 14. und 29. Oktober. Kartentelefon (089) 21 85 19 40.