München
Wie jung samma?

Nachdenken über die Welt: Eindrücke vom Festival "Radikal jung" am Münchner Volkstheater

29.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:53 Uhr

Foto: DK

München (DK) Man kennt sich: Hier sitzen die Hartgesottenen. Die Jury von "Radikal jung" zieht ja nun auch schon im elften Jahr ihre Kreise durch die nahe und ferne Theaterlandschaft, pickt heraus, was eigenartig oder signifikant ist und spuckt dann eine Sammlung bunter Steine, schlau getarnt als Festivalspielplan, auf die Bühnen des Münchner Volkstheaters.

Eine Münchner Institution.

Doch das Theater scheint dieser Tage mehr denn je auf der Suche: Kann man Stücke von Dingen spielen lassen - wie in "Flimmerskotom" aus Gießen? Oder von Schauspielern, die wie Zombies agieren? So Ersan Mondtag in der absolut radikal gedachten "Tyrannis" aus Kassel. Er zeigt über mehr als zwei Stunden eine in ihren Stereotypen und Zwangshandlungen gefangene Horrorfamilie, die kein Wort spricht und in ihrem stumpfsinnigen Wäldlerdasein höchst verstörenden Alltäglichkeiten nachgeht. Dass die Schauspieler blind spielen, ihnen die Augen auf geschlossene Lieder gezeichnet wurden, macht das Ganze noch seltsamer. Zum - freilich endlosen - Raum wird hier die Zeit.

Dagegen ist der Gastbeitrag vom Schauspiel Frankfurt, eine Annäherung an Strindbergs "Fräulein Julie" von Daniel Foerster, geradezu süffigstes Erlebnistheater, mit einem gegen den Strich gebürsteten Jean (Alexej Lochmann) im Lackstrampler, der sich an und mit der rätselhaft abwegigen Juli (Katharina Bach) aufs Unterhaltsamste abarbeitet. Schreien, Herumschmieren, absichtliches Getränkeverschütten und mit Sachen werfen - alles, was im Kindergarten grundsätzlich verboten, wird hier auf das Lustvollste aufgelebt und ganz nebenbei die Liebe ausgelotet. Wenn es nach der unmittelbaren Resonanz des Publikums geht, und man wirft seine Wertungskarte schließlich direkt nach der Vorstellung in die Boxen, so ist diese Produktion Favorit für den Festivalpreis. Dem ganzen Theater verweigert sich hingegen die Berliner inklusive Truppe Monster Truck: Sie karrte das Publikum kurzweg zu einer Darbietung von Freestyle Motocross im Olympiapark. Man konnte sich ärgern - oder über die unverhoffte Wertsteigerung der Theaterkarten freuen. Hingegen mutet es schon fast anheimelnd an, wenn die Performerinnen Marja Christians und Isabel Schwenk auf den Stücktext verzichten und aus Hebbels "Judith" nur ein paar Szenenanweisungen beibehalten, diese aber dann lustvoll und splitterfasernackt in den Kontext setzen, der ihnen justament auf den Nägeln brennt. Ihre Mühe entfaltete, wie manch guter Wein, erst im Nachgeschmack volle Wirkung: Das Publikumsgespräch im Dunkeln, moderiert von einem Laptop, lohnt sich je nach Tagesform der Teilnehmer fast mehr, als das Vorangegangene.

Jedes Stadttheater hingegen könnte froh sein, seinen Abonnenten eine Uraufführung wie "Raging Bull" in der Regie von Mathieu Létuvé vorsetzen zu können: Wie er die Biografie des heute 94-jährigen US-Boxers Jake LaMotta in drei Professionen vertanzt, vermixt und sprechen lässt und dabei als Schauspieler nicht nur alle Facetten des Abends im dezidierten Griff hat, sondern auch eine stupende Menge Text beisteuert, das ist brillant und fasziniert hier in München auch all jene, die dafür die Champions League sausen lassen mussten.

An diesem Samstag findet um 17 Uhr eine Abschlussdiskussion im Festivalzelt statt, bevor um 19.30 Uhr Campo Gent den "Schönheitsabend" präsentiert. Anschließend ist Party und ein Tanz in den Mai angesagt - und die Verleihung des Publikumspreises.

Informationen zum Festival unter www.muenchner-volkstheater.de" class="more" rel="nofollow"%>. Kartentelefon (089) 523 46 55.