München
Vom Geldstrumpf zum Kultobjekt

Das Bayerische Nationalmuseum präsentiert eine Kulturgeschichte der Tasche

12.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:16 Uhr

 

München (DK) Margaret Thatcher bezeichnete sie einst als den einzigen sicheren Ort in Downing Street. Nach Grace Kelly wurde sogar eine benannt. Nur Angela Merkel trägt selten eine – Tasche. Die Tasche ist mehr als ein simpler Gebrauchsgegenstand. Für Frauen ist sie ein unverzichtbarer Begleiter, für Männer ein ewiges Mysterium. Das Bayerische Nationalmuseum präsentiert nun in einer Sonderausstellung etwa 300 Taschen aus dem 16. bis 21. Jahrhundert und erzählt anhand der Exponate ein spannendes Stück europäischer Kulturgeschichte.

„Frauen und ihre Handtaschen – bei diesem Thema, das doch sehr heikel sein kann, sollten wir Männer besser schweigen“, erkannte Marius Müller-Westernhagen hellsichtig. Trotzdem ist es ausgerechnet ein Mann, der Textilspezialist Johannes Pietsch, der diese Ausstellung kuratiert hat. 250 historische Beutel, Börsen, Portefeuilles, Geldstrümpfe, Jagdtaschen, Ridicules, Pompadours, Reisetaschen aus dem Bestand des Nationalmuseums zeigt die sehenswerte Schau. Ergänzt um Leihgaben aus jüngster Zeit. Gefertigt aus Leder und Leinen, Samt und Seide. Aufwendig verziert mit Perlen, Gold- und Silberfäden. Sie dokumentieren die Entwicklungsgeschichte dieses Accessoires – und spiegeln dabei Weltgeschichte wider.

Zur Zeit des Heiligen Römischen Reiches hatte beispielsweise jedes Territorium und jede größere Stadt eigene Münz- und Maßeinheiten. Deshalb nutzten Kaufleute und Geldwechsler sogenannte Stielbeutel – viele kleine Zugbeutel an einem Holzstiel –, um Münzen verschiedener Währungen aufzubewahren. Solche Geldbeutel waren übrigens nicht nur Männersache. Frauen ließen ihre Geldtaschen meist an langen Ketten sichtbar an den Röcken baumeln. Galt ein gutgefüllter Geldsack doch auch als Standessymbol. Zumindest bei Frauen des gehobenen Bürger-stands. Adelige Frauen hatten es nicht nötig, ihren Rang auf diese Art zur Schau zu stellen.

Mit dem Ausbau des Postwesens im 17. Jahrhundert kamen die Brieftaschen auf: flache Taschen zur Aufbewahrung der Korrespondenz. Verziert mit flammenden Herzen oder Vogelpaaren dienten sie oft als Liebesgaben.

Das gesamte 18. Jahrhundert hindurch konnten Frauen ihr geheimes Hab und Gut in Umbindetaschen unter einem voluminösen Rock verwahren. Zur gleichen Zeit gab es aber auch schon Arbeitsbeutel für Handarbeitsutensilien, die am Arm getragen wurden. Dass sie schon Vorläufer der modernen Handtasche waren, beweist ein Brief der Engländerin Lady Mary Coke aus dem Jahr 1769 über ihre „knotting bag“: „Ich habe nie geknüpft, aber die Tasche eignet sich hervorragend für Handschuhe und Fächer.“

Je offensiver die Frauen nunmehr Taschen trugen, desto weniger wollten die Herren damit belastet sein. Längst vorbei war die Zeit, als Kurfürst Maximilian I. von Bayern mit prachtvoll bestickter, grünsamtener Jagdtasche auftrat. Allein die Eisenreliefs der Bügel dieser Tasche mit Jagdhunden, Bären und Hirschen auf vergoldetem Grund künden von ihrer Kostbarkeit und machen das Stück zum herausragenden Exemplar der Sammlung. Als Konsequenz aus den politischen und sozialen Umbrüchen wurde die Herrenbekleidung im 19. Jahrhundert unauffälliger. Als Accessoire blieben gerade mal Geld- und Brieftaschen – die dann in Anzügen oder Mänteln verschwanden. Bis heute.

Dafür entwickelte sich die Damenhandtasche zu dem modischen Accessoire schlechthin, deren Funktion nicht länger die Form bestimmte. Kreativität war das Zauberwort und bezog sich auch auf die Materialien. Durch das ganze 19. Jahrhundert waren bunte Perlentaschen sehr beliebt – die bald auch industriell gefertigt wurden. Das führte zwar zu einer weiten Verbreitung – weshalb sie heute noch in großer Zahl erhalten sind – aber leider auch zu Qualitätsverlusten.

Neue technische Entwicklungen brachten neue Taschenformen hervor. Dampfschiff und Eisenbahn machten das Reisen schnell und für breitere Schichten bezahlbar. So entstanden Reisetaschen – geräumige Taschen mit Henkel, die eigentlich bis heute noch gebräuchlich sind. Doch erst im 20. Jahrhundert wurde die Handtasche zum festen Bestandteil eines modischen Ensembles, den man der Kleidung entsprechend wechselte.

Ausgewählte Exponate aus dem 20. und 21. Jahrhundert von Chanel, Hermès oder Aigner komplettieren die Ausstellung über die Geschichte der Tasche. Und Unikate wie die der amerikanischen Künstlerin Michele Oka Doner – eine Clutch in Silber von einem Stück Treibholz abgeformt – setzen Glanzlichter. Es ist eine reizende Schau, die nicht nur etwas über die Besitzer(innen) der Taschen erzählt, sondern auch viel über die Zeit, in der sie lebten. Und vor allem darüber, warum die Tasche wurde, was sie ist – ein Kultobjekt.

Bayerisches Nationalmuseum, bis 25. August, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, zwei Kataloge.