München
Voll Melancholie und Tristesse

Standing Ovations: George Podt bringt Fassbinders "Angst essen Seele auf" auf die Bühne der Münchner Schauburg

24.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:15 Uhr

München (DK) Eigentlich hat sich George Podt nach 27-jähriger Intendantentätigkeit mit der Inszenierung von Antonio Skarmetas Bühnenfassung von "Der Aufsatz" bereits vor Kurzem in den Ruhestand verabschiedet. Zwar mit Zorn und Frust. Denn seine designierte Nachfolgerin, die ab September das Theater der Jugend, genannt Schauburg, leiten wird, hat bereits "tabula rasa" angekündigt.

Mit ihrer eigenen Vorstellung von zeitgemäßem Kinder- und Jugendtheater will sie bei null anfangen. Niemand vom bisherigen Ensemble und dem künstlerischen Team wird übernommen, auch nicht der für so viele kongeniale Bühnenbilder verantwortliche Peer Boysen und der für die "Corporate Identity" mit ungemein ansprechenden Plakaten verantwortliche Grafiker Günter Mattei. Folglich wollte George Podt zum "Schlussakkord", wie er es nennt, nun doch nochmals zeigen, welches Gespür als Regisseur für sensible und doch aufrüttelnde Inszenierungen im Verlaufe der letzten zweieinhalb Jahrzehnte er doch hatte und hier zum allerletzten Mal unter Beweis stellt.

Rainer Werner Fassbinders Film "Angst essen Seele auf" aus dem Jahr 1974 nahm er sich als Vorlage, und man ist betroffen, welche erschreckende Aktualität dieses Thema nach 43 Jahren - leider - immer noch hat. Es ist die Liebesgeschichte zwischen dem "Gastarbeiter" Salem, genannt Ali, und der um viele Jahre älteren Emmi, die ihr Leben und Überleben in einer kalten Umwelt als Putzfrau fristet. Witwe ist sie und auf der sozialen Skala ganz unten. Anerkennung und Zuneigung sucht sie (von Ilona Grandke höchst anrührend gespielt) bei ihren Mitmenschen. Aber vergebens. Nur bei Ali findet sie Geborgenheit. Doch ihre Umgebung (samt Sohn und Schwiegertochter) zerreißt sich das Maul über diese "Mesalliance". Misstrauen und Ablehnung steigern sich zur bornierten Feindseligkeit gegen alles Fremde. Die Deutschtümelei und der latente Hass gegen Ausländer eskalieren.

Freilich nicht in hartem Realismus hat George Podt dieses Stationendrama über Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit inszeniert, sondern als zärtliche Liebesgeschichte in rauer Wirklichkeit. Nur zwei Tische und vier Stühle stehen auf der ansonsten leeren Bühne, auf der sich die Geiferer abwechselnd gruppieren und in die Rollen als Emmis Verwandte und Kolleginnen, als Kellnerin und Wirtin, als Polizist, Hausbesitzer, Hotelmanager und Arzt (Berit Menze, Lucca Züchner, Vanessa Jeker und Peter Wolter) schlüpfen. Als amorphe Masse der Intoleranz sind sie alle in Schwarz gekleidet und wechseln zur Kennzeichnung ihrer jeweiligen Identität nur die jeweils verschiedenfarbigen Schuhe. Dazu lässt George Podt das Publikum auf den im Zuschauerraum verteilten Biergartenstühlen auf diese in Melancholie und Tristesse getauchte sozial- und gesellschaftskritische Studie wie Voyeure glotzen. Eine tolle Idee.

Die besondere Aktualität dieses überzeitlichen Stückes liegt freilich in der Tatsache, dass der Regisseur den bei Fassbinder aus Marokko stammenden Ali mit dem afghanischen Asylbewerber Ahmad Shakib Pouya besetzte. Zahnarzt und Musiker war er in Kabul, bis die Taliban sein Haus zerstörten. Nach Deutschland floh er und wartet seit 2011 auf Asylgewährung. Er ist bestens integriert, spricht sechs Sprachen, war als Flüchtlingsbetreuer bei der IG Metall ehrenamtlich tätig und spielte die Hauptrolle in Mozarts "Zaide" im Staatstheater am Gärtnerplatz. Trotz einer von 22 000 Menschen unterzeichneten Petition sollte er in sein "sicheres Herkunftsland" ausgewiesen werden. Doch im Januar kehrte er freiwillig nach Kabul zurück, um der Abschiebung, die eine Wiedereinreise verhindert hätte, zuvorzukommen. Mit Unterstützung des Gärtnerplatztheaters und der Verpflichtung als Schauspieler bei George Podt durfte er nun mit einem befristeten Arbeitsvisum wieder nach München zurückkehren. Und er spielt diesen "Gastarbeiter" Ali nicht nur authentisch, sondern er verkörpert diesen von der ihm feindlichen Umgebung reichlich verunsicherten, doch stolzen und in seiner schüchternen Liebe zu Emmi durchpulsten Darstellung so hinreißend, dass das Premierenpublikum ihm und Ilona Grandke Standing Ovations am Ende dieser berührenden Aufführung darbrachte.

 

Weitere Vorstellungen: 25. und 26. April, 3. und 19. Juni. Kartentelefon: (089) 23 33 71 55.