München
Unter Fledermäusen, Enten und Grillen

In dieser unwettergeplagten Freilichtsaison inszeniert Marcus Everding die "Schöne Helena" im Hof der Blutenburg

29.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:29 Uhr

Ope(r)n Air auf Schloss Blutenburg: Marcus Everding inszeniert Jacques Offenbachs "Die schöne Helena". - Fotos: Schnauss/Busch-Frank

München (DK) Die Griechen sind los - und scheinen sich in Bayern wie zu Hause zu fühlen. Nicht ganz unschuldig daran ist Regisseur Marcus Everding (52, kleines Foto), der am Donnerstagabend Jacques Offenbachs Operette "Die schöne Helena" erstmals open air aufführen konnte.

Herr Everding, Sie hatten nach acht Jahren als Leiter der Orff-Festspiele in Andechs erstmals die Chance, Ihren Sommer außerhalb des Festspielzirkus zu verbringen und haben sie nicht genutzt. Sind Sie Überzeugungstäter?

Marcus Everding: Das klingt mir zu kriminalistisch, ich mache das ja aus Leidenschaft! Als Regisseur sucht man sich eben die Angebote aus, wie sie gerade kommen. Als letztes Jahr die Querelen um das Ende meiner Tätigkeit in Andechs durch die Presse gingen, rief mich der musikalische Leiter der Pasinger Oper, Andreas P. Heinzmann an und sagte: "Wie ich das sehe, hast du nächsten Sommer doch Zeit ..."

 

Und Ihre Arbeit ist auch noch komplizierter geworden: Der Florian-Stadl in Andechs war wenigstens wetterfest. Diesmal spielen Sie unter freiem Himmel und ohne Verstärkung!

Everding: Ach, ich habe so viel Freilichttheater in meinem Leben gemacht, da entwickelt man so eine Art lakonische Gemütsruhe. Außerdem haben wir ja hier die wunderbare Möglichkeit, bis 17 Uhr zu entscheiden, ob wir das Stück wetterbedingt doch in der Pasinger Fabrik spielen. Es ist ja auch für den Innenraum konzipiert, so dass die Zuschauer künstlerisch keine Einbuße haben.

 

Also wie war das nun: Sie haben in Ihrem Musiklexikon ein paar Seiten zurück geblättert und sind von Carl Orff zu Jacques Offenbach gelangt?

Everding: Nicht so wirklich. Ich habe vor Jahren mal eine Operette inszeniert und wollte das gerne wieder machen, wurde aber immer eher für Opern und Schauspiel geholt. Auch Heinzmann wollte 2016 eine Operette machen, die Stückauswahl fiel dann auf den Offenbach. Das Stück ist so herrlich ironisch und sarkastisch und hat, was ich jetzt als Genreanalyse, nicht als Kritik gewertet haben möchte, doch einen tieferen Moment als beispielsweise "Eine Nacht in Venedig".

 

Der heilige Berg in Andechs wie die Blutenburg im Münchner Stadtteil Obermenzing wuchern ja beide nicht zu gering mit Lokalkolorit. Auch Grillen, Enten und Fledermäuse habe ich unter den Gästen der Vorstellung wahrgenommen.

Everding: Ich weiß nicht, ob man Theaterorte vergleichen soll. Ich habe übrigens auch die Tiere in Andechs lieb gewonnen und hätte sie gerne weiter gepflegt. Der Theatermann muss einfach froh sein, einen schönen Ort zu haben, der dann eben auch für den ganzen Theaterabend einen wichtigen Moment abbildet.

 

Die Produktion müsste aber doch ziemlich anders sein, während Andechs ein klassisches Festspiel mit Nachwuchs- und Laienkräften ist, speist sich die Pasinger Fabrik aus einem Freie-Szene-Künstlerpool. Macht das für Sie als Regisseur einen großen Unterschied?

Everding: Das macht es nicht, es gab natürlich auch hier Vorsingen, wir haben alle Sänger wieder neu auf das Stück hin überprüft, sowohl musikalisch, durch den Dirigenten, als auch szenisch. Ich achte da auch besonders auf die Eignung für Operette, es ist ja doch eine andere schauspielerische Anforderung dahinter, als wenn man "La Bohème" inszeniert.

 

Auch diesmal haben Sie wieder ein wenig an der Stückfassung gezaubert, die von Ihnen geschriebenen Texte sind zum Teil ganz schön intellektuell und nachdenklich. Auch der Cancan aus "Orpheus in der Unterwelt", Wagners "Meistersinger" und Gershwin schauen mal grüßend bei der "Schönen Helena" vorbei.

Everding: Wenn ich das Stück durchlese, dann stelle ich fest, dass die Pointen von 1866 heute nicht mehr zünden. Es ist ein anderer Kontext als vor über 150 Jahren, das muss ich berücksichtigen. Das war übrigens auch immer mein Ziel bei der Arbeit an Orffs Werk. Wenn ich an der Fassung etwas ändere - und das war bei Orff weniger, als die meisten dachten -, dann immer so, dass der Kern der Aussage beim Publikum ankommt. Ich übernehme also das Prinzip, das Offenbach benutzt, und forme es in meiner Semantik um. Beispielsweise spielen bei der "Helena" drei Rätsel eine Rolle, und damals war die Lösung eines der Rätsels "Eisenbahn". Das wäre heute nicht mehr so ein Überraschungsmoment, damals aber topmodern. Ich musste also Äquivalente suchen.

 

Sie befinden sich bestimmt nach der langen Zeit in Andechs nun in einer Phase der Neuorientierung. Wie geht es beruflich für Sie weiter?

Everding: Glücklicherweise habe ich ein Kontinuum, seit 2003 betreue ich ein Laientheater in Großhelfendorf, das alle zwei Jahre ein Stück von mir bekommt, das die Lebenswirklichkeiten der Mitwirkenden spiegelt. Ich bin nämlich der Auffassung, dass Laien besser keinen Shakespeare aufführen. Diese Gruppe ist einer meiner zuverlässigsten Arbeitgeber. Die wissen, dass Kunst Geld kostet! Für das "Dehnberger Hoftheater" erstelle ich aber auch gerade eine eigene Fassung von "Das Wirtshaus im Spessart". So ist das Leben als freier Regisseur, man wartet, welche Leute anrufen und wählt dann aus. Ich persönlich konzentriere mich immer mehr aufs Schreiben. Acht Jahre als Theaterleiter mit großer, auch personeller Verantwortung, waren eine lange Zeit. Ich hätte das gerne weiter gemacht, aber muss sagen: Ich fühle mich heute insgesamt freier.

 

Die Fragen stellte

Sabine Busch-Frank.

 

Weitere Open-Air-Vorstellungen bis zum 31. Juli, jeweils 20 Uhr, danach wetterfest in der Pasinger Fabrik bis 14. August, Beginn dann 19.30 Uhr.