München
Treppen, die ins Nichts führen

07.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:06 Uhr

Regisseur Dresen verlegt die Handlung von „Arabella“ in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts - Foto: Hösl

München (DK) „Arabella“, das letzte gemeinsame Opus der kongenialen Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, spielt eigentlich in Wien um 1860.

Regisseur Andreas Dresen, sonst als Filmregisseur („Sommer auf dem Balkon“) bekannt, verlegt die „Lyrische Komödie“ mit seiner Münchner Opernfestspiel-Neuinszenierung in die späten 1920er Jahre, ihre Entstehungszeit. Eine Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit mit großer Sehnsucht nach Stabilität – und damit durchaus heutig, aber dennoch weit genug entfernt, um mit Distanz auf die Dinge blicken zu können.

Überhaupt gibt sich Andreas Dresens Regie aufs Erste verhalten und distanziert, eher kühl. Dabei analysiert er aber mit scharfem Blick den Kern der Geschichte und stellt die richtigen Fragen. Hoch verschuldet und der Spielsucht erlegen, will Arabellas Familie sich über die schöne Tochter und deren reiche Heirat sanieren. Doch Arabella träumt von der wahren Liebe, vom „Richtigen“. Als der kommt – ein Mann aus den Wäldern, reich und selbstbewusst, zielsicher und stark –, scheint die Sehnsucht aller in Erfüllung zu gehen. Doch ausgelöst durch eine (grundlose) Eifersuchtsepisode, zeigt sich der wahre Kern des Traummanns: Zynisch ist er, gewalttätig bedient er sich an den sexuellen Reizen der zum rechten Zeitpunkt jodelnden Fiakermilli – das zeigt Dresen schonungsloser als sonst. Kann so die Verbindung zwischen Arabella und Mandryka Bestand haben? Das berühmte Wasserglas, das sie Mandryka am Schluss der Oper zum Zeichen der Verlobung kredenzt, kippt Dresens sonst so beherrschte Arabella ihm mitten ins Gesicht und entschwindet allein gen Schlafzimmer. Der Kampf der Geschlechter kann beginnen – doch wohin der Weg führt, bleibt offen.

Nichts ist hier stabil, nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. Eine optisch bezwingende Versinnbildlichung dieses Grundgedankens stellt dazu das Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau dar (dessen berühmter Vater den Mandryka selbst wohl Dutzende Male gesungen hat): Eine große Treppenanlage in kühlem Schwarz, mal von unten sichtbar, mal sich windend, mal ins Nichts führend, beschreibt die Wege der Protagonisten, deren Sehnsucht nach Auswegen. In schlicht-elegante, auf klare Farbsprache setzende Kostüme (Sabine Greunig) gewandet, warten sie auf Personenregie. Doch Dresen kann die Sänger meist nicht dazu animieren, mehr als Standardrepertoire zu liefern – und das ist der Schwachpunkt der Münchner Neuproduktion.

Musikalisch dagegen lässt die Regie Platz für Berückendes und Berührendes. Was auch an Philippe Jordan und dem wunderbar musizierenden Bayerischen Staatsorchester liegt. Jordan macht die Partitur durchhörbar, kostet liebevoll ihre Details aus, lässt in Rausch und Gefühl schwelgen (ohne dabei sentimental zu werden), betont aber immer wieder auch das Brüchige, das Ende der Walzer-Wohlklang-Ära. Solchermaßen musikalisch gebettet, singt es sich denn auch herrlich – selbst im Piano. So ist Thomas J. Mayer als Mandryka ein Bariton mit warmem Timbre und klug geführter Stimme. Eine Freude ist es auch, dem großen Kurt Rydl und der wunderbaren Doris Soffel (Graf und Gräfin Waldner) zu lauschen. Anja Harteros’ Arabella setzt auf Lyrik, auf leuchtend-innige Töne, die zu schmelzen scheinen – einer kostbarer als der andere. Ebenbürtig ist ihr Hanna-Elisabeth Müller als jüngere Schwester Zdenka, die mit Inbrunst und jugendlicher Leuchtkraft für sich einnimmt, nicht nur Joseph Kaisers tenoral hoch emotionalen Matteo, der letztlich die bislang (aus Geldgründen) als Junge getarnte Zdenka bekommt. Oder etwa nicht? Auch hier lässt Andreas Dresen alles offen und Platz zum Weiterdenken in einer Welt, die ins Wanken geraten ist.

Großer Jubel am Schluss für Sänger, Dirigat und Regie.