München
Totaler Körpereinsatz

25.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:17 Uhr

Trash-Version des alten Epos: Jean-Luc Bubert (links) und Sebastian Wendelin in "Die Odyssee". - Foto: Declair

München (DK) Nach Hause wollen sie endlich. Nach zehn Jahren erbitterter Kämpfe mit ausgiebig bluttriefendem Mord und Totschlag. Troja ist gefallen. Doch Sieger sind die Griechen keinesfalls.

Das Land ist geschunden, und die Menschen - falls sie überhaupt überlebt haben - sind von all den Kriegsgräueln traumatisiert, physisch und psychisch restlos am Ende. Und Odysseus, der in dieser Aufführung gar nicht so Listenreiche, muss bei der Rückkehr nach Ithaka mit seinen Mannen auf dem Meer auch noch allerlei Unbill erfahren: Von den Zyklopen werden sie drangsaliert, die Zauberin Kirke verwandelt Odysseus' Gefährten in Schweine, die Sirenen locken die Seefahrer mit ihrem betörenden Gesang auf die gefährlichen Klippen, und das Ungeheuer Skylla taucht auch auf. Nachdem Odysseus in den Hades hinabgestiegen ist und dort die Schrecken der Unterwelt erlebt hat, wird er nach einem tsunamigleichen Seebeben als einziger Überlebender der Schiffsmannschaft an einem Strand im Hoheitsgebiet der Phäaken angespült, wo er als Gast umsorgt wird, während er - endlich am Ziel seiner Odyssee - in seiner Heimat als König von Ithaka nicht erkannt und als Bettler verhöhnt wird.

In 24 Gesängen berichtet Homer in seinem gewaltigen Epos von all den Irrfahrten und Horrorerlebnissen des Odysseus, die der 36-jährige Regisseur Simon Solberg in seiner Bearbeitung dieses um 750 vor unserer Zeitrechnung entstandenen Monumentalwerkes auf 90 Minuten eindampfte und als visuelle Trash-Version mit Comiceinlagen auf die Bühne des Münchner Volkstheaters knallte. In mystisches Dunkel und nebelumwabert ist das Geschehen hier getaucht, das bei den hochdramatischen Ereignissen von Lichtblitzen und Scheinwerferorgien illuminiert wird, während links und rechts der mit einem Wald aus Eisenstangen bestückten Bühne (von Markus Pötter) auf Video-Schautafeln die kriegerischen Ereignisse in Griechenland und Kleinasien von Alexander dem Großen bis zur Gegenwart aufgezeigt werden.

Mögen diese Geschichtsinformationen mit Bezug zum aktuellen Syrien-Desaster und Odysseus' Irrfahrten mit der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik allzu oberlehrerhaft ausgefallen sein, so zieht die Umsetzung all der Horrorerlebnisse von Odysseus und seinen Mannen ganz gewaltig in den Bann. Denn mit einfachsten Mitteln, aber totalem Körpereinsatz der Schauspieler visualisiert der Regisseur hier die Ängste und die Hoffnungen, die Verzweiflungen und die Empfindungen der Männer. Mit Leuchtstäben liefern sich Griechen und Trojaner Schwertkämpfe, auf einem über die Bühne und die ersten Zuschauerreihen weit schwingendem Seil wird die Flucht vor den Ungeheuern symbolisiert, und mit gleißenden Lichteffekten wird das von Poseidon aufgewühlte und wild schäumende Meer aufgezeigt, gegen das die Odysseus-Crew mit schweren Eisenstangen als Ruder ankämpft.

Ungemein starke Bilder hat Simon Solberg in dieser Inszenierung geschaffen, die von einer Symbiose aus arabischen Klängen und martialischer Musik des Ingolstädter Komponisten Michael Gumpinger ideal ergänzt wird. Sebastian Wendelin gibt den Odysseus als Mischung aus sensiblem Kraftprotz und Furcht einflößendem Zombie ab, während Jean-Luc Bubert, Jakob Geßner und Moritz Kienemann als Odysseus' Gefährten und dessen Widersacher in alle männlichen Rollen schlüpfen und Luise Kinner die weiblichen Rollen von der Zauberin Kirke bis zu Odysseus' Gattin Penelope verkörpert.

Ein Heimkehrerdrama hat Simon Solberg hier als ein actionreiches, rasant über die Bühne tobendes Körpertheater inszeniert, das vom Premierenpublikum mit tosendem Applaus bejubelt wurde.

Die nächsten Vorstellungen sind am 29. Januar sowie am 4. und 14. Februar. Kartentelefon: (089) 523 46 55.