München
Stille Weiten voller Licht und Glanz

Das Museum Brandhorst in München setzt das Werk des amerikanischen Künstlers Cy Twombly neu in Szene

28.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Kulinarischer Farbrausch: "Kuchen" von Cy Twombly. - Foto: Wilhelms

München (DK) An Tagen, in denen fast täglich überfüllte Boote auf dem Bildschirm erscheinen, weil Flüchtlinge verzweifelt versuchen, über das Mittelmeer das "gelobte Land" Europa zu erreichen, haben Bilder mit Booten einen bitteren Beigeschmack bekommen. Vorbei die Zeiten, als ein Künstler wie Cy Twombly von seinem Atelier in Latium übers Meer blickte und nichts anderes malte als Wasser, Luft und darin scheinbar schwerelos schwebende Boote.

Setzten sie über zu einer Insel des Lichts? Kein Ufer zu sehen, nirgends, nur endloses, hell leuchtendes Blau. Cy Twombly, 1928 in Lexington/Virginia geboren, hat in Bildern wie diesen wohl so etwas wie "Heimat" gefunden. Das Museum Brandhorst zeigt nun unter dem Titel "Cy Twombly - in the studio" hundert seiner Werke in einer Neupräsentation im Obergeschoss.

Der Blick auf Twombly ist umfassend: Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Fotografien werden ausgebreitet. Der große Lepanto-Saal, das Herzstück des Hauses, blieb fast unberührt - nur dass vor dem Halbrund der zwölf Bilder zu der historischen Seeschlacht von 1571 nun auch eine Skulptur von Twombly steht, die wie ein Schiffsbug aufragt vor den aufblitzenden Feuern und dem blutroten Wasser. Doch welche Stimmungen folgen in den angrenzenden Räumen, die Sammlungsdirektor Achim Hochdörfer neu geordnet und gestaltet hat! Das gleißende Licht eines Sommertages am Meer, wenn große Stille über dem Wasser liegt, erfüllt den Raum mit den Schiffen. Es folgt ein Bacchanal, ein taumelnder Tanz zum Ruhme des Gottes Bacchus, wenn zwei wandgroße Leinwände sich gegenüberstehen, die im wilden Gestus Kreise und Schleifen in brennendem Rot einander zuwerfen.

Und dann der große Raum mit den Rosen in Violett, Pink und Gelb: Hier wurde quer durch den Raum eine durchbrochene Wand gezogen, die neue Ausblicke eröffnet und die gemalten Rosen verknüpft mit Fotografien von Früchten, Blumen, Käselaiben. Die Aufnahmen spielen mit Unschärfen und Formen, sie sind von eigentümlich altmodischer Einfärbung und antworten den klaren Linien der großen Rosen, als wollten sie den Gemälden noch einen Duft beifügen. Einige Aufnahmen schlagen Brücken zu den Blumen-Fotografien eines Andy Warhol, andere beziehen sich auf jene Skulpturen von Twombly, die im Treppenhaus ausgestellt sind. Es sind große, zusammengezimmerte Plastiken, die aufgrund des weißen Gipsüberzuges zuweilen an Torten erinnern, dekoriert mit den Abtupf-Tüchern des Malers, als wären sie Marzipan-Rosen.

Twombly entfaltet mit diesen Werken, die Udo und Anette Brandhorst von den 1950er-Jahren bis zum Tod des Künstlers 2011 zusammengetragen haben, eine Leichtigkeit, gepaart mit Ironie. Die Kritzeleien und Graffiti der Straßen übersetzt er in große Gesten, die Lichtstimmungen seines Ateliers in poetische Fotos und die südlichen Gestade in Bilder, in denen Boote langsam dahingleiten, als hätten sie kein Ziel und keinen Auftrag. Der Akt des Malens mit all seinen Spuren in herunterfließender Farbe ist bei Twombly so etwas wie ein "kontrollierter Zufall", der hier in einen roten Taumel mündet und dort in eine stille Weite voller Licht und Glanz. Künstlerische Strömungen wie den abstrakten Expressionismus, die Pop-Art, die Minimal-Art, so Kurator Hochdörfer, hat Twombly stets wahrgenommen, doch hat er immer eigenständige Wege gesucht. Die Inszenierung seines Werkes ist an diesem Ort so gelungen, dass man Twombly verstehen lernt.

Bis zum 26. August im Museum Brandhorst, Theresienstraße 35 a, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.