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Cellistin Raphaela Gromes erspielte sich 2011 den Musikförderungspreis des Konzertvereins Seitdem hat sie Karriere gemacht

09.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:26 Uhr

Exklusivkünstlerin bei Sony: Raphaela Gromes hat gerade ihre erste Studio-CD eingespielt. - Foto: Schneider

München/Ingolstadt (DK) "Das waren zwei krasse Brocken", sagt Raphaela Gromes und hebt dabei die Arme, "wie zwei Marathonläufe. Das war größer als alles, was ich vorher gemacht habe". Jetzt ist sie völlig ausgelaugt.

Die junge Cellistin sitzt im Café Ella im Lenbachhaus und strahlt so intensiv vor Glück, als wolle sie gleich die ganze Welt umarmen. Was für süße Schmerzen müssen das sein! Der Nacken schmerzt, sagt sie, die Schultern, die Sehnen: Sie spricht darüber, als wäre sie gerade von einem Wellness-Wochenende zurückgekehrt.

Was war geschehen? Raphaela Gromes, ein aufgehender Stern im internationalen Musikmarkt, hat gerade einen wichtigen Wettbewerb gewonnen, ein Preisträgerkonzert für einen anderen Wettbewerb gespielt und in vier intensiven Sitzungen ihre erste Studio-CD für das Label Sony aufgenommen. Und das alles innerhalb kürzester Zeit. Zuletzt ballten sich die Herausforderungen. An nur einem Tag spielte sie vormittags ihre CD ein, probte nachmittags und gab schließlich noch das Konzert für den Kulturkreis-Gasteig-Wettbewerb, den sie zusammen mit der Geigerin Amelie Böckheler gewonnen hatte.

Der Erfolg hat die junge Cellistin buchstäblich überrollt. Abgehoben hat die Karriere der Münchnerin vor fünf Jahren in Ingolstadt, wo sie mit dem Musikförderungspreis des Konzertvereins ausgezeichnet wurde. Damals tat Raphaela Gromes fast noch so, als ob der Erfolg eine Art positiver Ausrutscher wäre. Wettbewerben begegnete sie grundsätzlich mit Skepsis, weswegen sie auch zuvor noch nie an einem teilgenommen hatte. Den Anforderungen des Musikmarktes wollte sie sich nicht beugen - deswegen verweigerte sie sich auch sozialen Netzwerken wie Facebook. Und, ja, Solistin wollte sie auch nicht unbedingt werden, sie konnte sich auch vorstellen, einmal in einem Opernorchester zu spielen. Schließlich liebe sie Opern, erzählte sie unserer Zeitung.

Aber dann kam doch alles etwas anders. Nur kurze Zeit widerstand die junge Künstlerin. Dann gab sie dem Druck ihrer Begabung nach. Nahm an Wettbewerben teil - und gewann sie alle, ohne Ausnahme: den 1. Preis des Richard-Strauss-Wettbewerbs (2012), den Deutschen Musikwettbewerb (2016), zweimal den 1. Preis des Kulturkreis-Gasteig-Wettbewerbs und den 1. Preis des internationalen Concorso Fiorindo Turin.

Vor Wettbewerben hatte sie früher ein wenig Angst, "Angst, dass sie mich demoralisieren, wenn ich nichts gewinne". Dann besuchte sie einen Meisterkurs bei dem Cellisten Yo-Yo Ma. Und der überzeugte sie. Sie müsse einfach nur versuchen, das, was sie zu sagen habe, dem Publikum zu vermitteln. "Ich werde den Wettbewerb wie ein Konzert sehen. Und ich werde auch nicht perfekter spielen als sonst", sagte sie sich. Und mit dieser Einstellung gewann sie.

Als bisher größte Herausforderung erwies sich allerdings die erste Studio-CD-Produktion der frischgebackenen Sony-Exklusivkünstlerin. Produziert wurde die CD vom Bayerischen Rundfunk. "Der BR ist der Himmel", sagt sie heute. "Wir hatten unglaublich viel Zeit und ein riesiges Team zur Verfügung." Für die Duo-Aufnahmen zusammen mit ihrem ständigen Kammermusikpartner, dem Pianisten Julian Riem, arbeiteten ein Tonmeister, zwei Toningenieure, ein Klavierstimmer, der immer dabei war, und ein Raumtechniker, der für das richtige Raumklima sorgte. Auch bei der Auswahl der Stücke hatten die beiden Künstler Gromes und Riem nahezu freie Hand. "Wir wollten auf keinen Fall etwas einspielen, das es schon hundertmal gibt." Nach langer Diskussion kam schließlich ein romantisch-italienisches Programm heraus, in dessen Mittelpunkt die Cellosonate von Giuseppe Martucci steht, "eine Art italienischer Brahms".

"Das war Studio total", erzählt Gromes und stochert dabei genüsslich in einem Stück Kuchen. Bei den Aufnahme-Sessions wurde acht Stunden am Tag produziert. "Und das geschieht mir!", ruft sie aus. "Wo ich doch nie mehr als höchstens vier Stunden am Tag übe." Sie fühlt sich durch die Mangel gedreht. "Ich bin ein Wrack", stöhnt sie mit komischem Tonfall und lacht lauthals.

Aber ein Stück einzustudieren, das ist für Raphaela Gromes ohnehin ein weiter Begriff. Das schließt nicht nur das disziplinierte Streichen über die Saiten ein, sondern hat mit dem stillen Lesen von Notentexten zu tun, mit Bücher-Lektüre, sogar dem Urlaub und damit, einfach mal in den See zu springen.

Die Arbeit im Studio war noch in anderer Hinsicht ungewöhnlich. "Das läuft so ab", erzählt sie. "Man spielt einen Satz, dann geht man hoch zum Tonmeister und hört sich alles an - und ist entsetzt. Denn für eine CD-Aufnahme muss man ganz anders spielen als im Konzertsaal. Während man vor Publikum alles geben muss, um zu überzeugen, klingt das vor dem nur Zentimeter entfernten Mikrofon penetrant. Man hat viel weniger Distanz, man muss weniger Bogen nehmen, und weniger kratzige Nebengeräusche produzieren. Und man muss sich stundenlang immer wieder korrigieren. Manchmal muss der Pianist eine schwere Stelle 15-mal spielen. Dann gelingt sie und ausgerechnet ich mache einen Fehler." Ein qualvoller Kampf um Perfektion: "Entweder man lacht oder man weint. Wir haben es mit Humor genommen", sagt sie.

Das glaubt man Raphaela Gromes sofort, sooft wie sie lacht, wie sehr sie sich über ihr Leben amüsieren kann. Dieser strahlende Charakter - vielleicht ist das auch ein wenig ihr Erfolgsgeheimnis. Zweifellos ist die 25-jährige Münchnerin eine fantastische, hoch virtuose Cellistin. Aber da ist noch mehr, da ist Persönlichkeit, Ausstrahlung, eine gewisse Magie, die das Publikum sofort verführt. Wenn sie, wie im vergangenen Jahr, mit der Audi-Bläserphilharmonie als Solistin spielt, dann geht von ihr ein Zauber aus. Sie lacht, sie flirtet mit dem Publikum, sie strahlt mit jeder Pore eine Begeisterung aus, eine Dankbarkeit, dass sie spielen darf, dass man diesem Charme einfach erliegen muss. Da klingt auf einmal jeder Ton, als wenn man diese Musik zum unwiederbringlich einzigen Mal so hört, als wenn es nichts Schöneres geben könnte. Das Publikum ist sofort überwältigt von dieser unbändigen Musizierlust. Unwillkürlich muss man an die bedeutendste Cellistin des 20. Jahrhunderts denken, an Jacqueline du Pré. die mit ähnlichem Überschwang über die Saiten strich.

Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass für Raphaela Gromes eigentlich schon immer das Cello und die Musik im Mittelpunkt ihres Lebens standen. Sie begann als Vierjährige, fast schon gegen den Willen ihrer Eltern, die ebenfalls beide Cellisten sind und bis zu ihrer Scheidung als Duo auftraten. Bereits als 14-Jährige debütierte sie mit dem Cellokonzert von Friedrich Gulda und wurde Jungstudentin in Leipzig.

Eine kurze Zeit war sie in ihrem Lebensweg verunsichert. Als sie nämlich mit der Note 1,0 trotz vieler widriger Umstände das Abitur abschloss. "Vielleicht", so erzählt die bildhübsche Münchnerin, "sollte ich doch etwas studieren, was weniger riskant ist als Musik und mit dem man wirklich Geld verdienen kann." Ausführlich beschäftigte sie sich mit Jura und später mit Psychologie. Ihr ging es darum, Menschen zu helfen. Und am Ende kam sie zum Schluss, dass sie das vielleicht doch am besten mit Musik tun kann. Sie dachte an Yehudi Menuhin, daran, Trost und Hoffnung zu spenden. Vieles geht ihr durch den Kopf: Wenn man so viel Talent hat - ist man dann nicht nur berufen, sondern sogar verpflichtet, daraus etwas zu machen?

Das ist das Faszinierende an dieser Künstlerin. Sie kann lauthals loslachen, hingebungsvoll, ungebremst. Und sie kann sehr ernst sein, klug reflektieren, tief nachdenken.

Ohne Übergang wird sie wieder heiter. Ihr steht eine große Karriere bevor. Aber eine ziemlich kleine Hürde ist für sie fast unüberwindlich, so sehr sie es sich auch wünscht: der Studienabschluss. Ihr Kalender ist voller Konzerttermine, da bleibt fast keine Zeit für Nebenfächer und das Hochschulorchester. Raphaela Gromes blickt ratlos auf ihren inzwischen leeren Teller. Und lacht.

Raphaela Gromes, die bereits häufiger in Ingolstadt aufgetreten ist, gastiert am 19. Januar 2017 mit dem Bläserensemble der Württembergischen Philharmonie Reutlingen beim Konzertverein Ingolstadt. Karten in den DK-Geschäftsstellen.