München
Spaziergang durch eine Sinfonie

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks verwandelt das Münchner Lenbachhaus in eine überdimensionale Klangskulptur

20.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:55 Uhr

Unter dem Motto "Denkanstöße" veranstalten die Museen, Kultureinrichtungen, Hochschulen und Galerien am Wochenende das 3. Kunstareal-Fest. Großes Finale ist die "Symphony 80" von Ari Benjamin Meyers. Die Klanginstallation mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wandert vier Stunden lang durch das Lenbachhaus und entfaltet sich durch die Bewegung des Publikums. - Fotos: BRSO

München (DK) Augen zu und eintauchen in ein Meer von Tönen - so stellt man sich den perfekten Musikgenuss vor. Für Ari Benjamin Meyers ist das nur die halbe Wahrheit. "Die Schallplatte gaukelt uns da seit Jahrzehnten etwas vor", sagt er, "aber Musik geht weit übers Hören hinaus. Deshalb treibt den Komponisten vor allem eine Frage um: Wie zeigt man das? Oder besser: Wie stellt man Musik aus"

Die Lösung liegt nahe, Meyers zieht es in den Kunstraum. Für das Münchner Lenbachhaus hat der 45-jährige Amerikaner eine performative Installation entwickelt, die das gesamte Museum einnehmen soll - das ist am Wochenende der Höhepunkt des Kunstareal-Fests. Ausführen wird sie das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Zeitgenössisches mag zwar längst zum Alltag des Spitzenensembles zählen, doch in diesem Fall betreten die Musiker Neuland. Mit der Partitur hat das noch gar nichts zu tun, Meyers verlangt weder komplizierte Tonfolgen, noch vertrackte Rhythmuswechsel. Stattdessen bewegen sich die 80 Orchestermitglieder nach einer mehr oder weniger lockeren Choreografie im Raum und von einem Saal zum nächsten.

Wie das dann mit den "Gedächtnishilfen" funktionieren soll, ist noch nicht ganz geklärt. Blaskapellen klemmen sich ihre Noten mit einer Marschgabel an die Tuba oder die Klarinette - das wäre die bodenständig praktische Lösung. Auch die große Trommel bietet um den Bauch geschnallt ein gut einsehbares Pult und könnte auf diese Weise problemlos durchs Haus wandern. Mit dem Rest des Schlagwerks dürfte es dagegen schwierig werden, genauso brauchen Bass und Cello die Fixierung am Boden. Zudem hat jeder Bereich eine andere Akustik, und wer die ehemalige Künstlervilla am Königsplatz kennt, weiß um die vielen kleineren Kabinette. Nicht nur das Blech kann da leicht übers Erträgliche hinaus dröhnen, Meyers Experiment setzt also eine ausgetüftelte Logistik voraus.

Wie das alles mit der Kunst zusammengeht? "Die habe ich mir genau angesehen", versichert Meyers, "was Sie am Sonntag hören, wird allerdings kein Kommentar zu einzelnen Werken sein." Aber vielleicht ist das nur eine Frage der Fantasie jedes einzelnen. Sowieso sitzt die Musik in der DNA der Sammlung. Die fürs Lenbachhaus so prägenden Maler des Blauen Reiter waren an neuen Tönen interessiert, Wassily Kandinsky versuchte sich mit seiner 1912 veröffentlichten Bühnenkomposition "Der gelbe Klang" an einer abstrakten Synthese von Musik, Farbe und Tanz. Damit ist die Städtische Galerie der ideale Ort für Meyers "Symphony 80".

Vier Stunden soll sie dauern und dabei Einblicke ins Innere einer Orchestermaschinerie gewähren. Zugleich verlässt sich Meyers auf die Initiative der Musiker, die auf Tuchfühlung mit ihrem Publikum gehen und sich als Individuen präsentieren. Das beginnt schon damit, dass sich jeder mit seinem Instrument erst einmal im Foyer vorstellt, um weiterzuziehen - bis sich das Haus in eine überdimensionale Klangskulptur verwandelt hat. "Die Besucher können dann durch eine Sinfonie spazieren", erklärt Meyers. Und damit bietet der an der New Yorker Juilliard School ausgebildete Pianist und Dirigent genau das, was ihm selbst immer gefehlt hat: das Visuelle und das körperliche Erleben.

Bei den Leuten kommt das gut an, Meyers, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, ist weltweit gefragt. Künstler wie Tino Sehgal, Dominique Gonzalez-Foerster oder Anri Sala binden ihn seit Jahren in ihre performativen Arbeiten ein. Und für den Theaterregisseur Ulrich Rasche gehören Meyers repetitive Klänge längst zum elementaren Bestandteil seiner Inszenierungen - zuletzt in Schillers "Räuber" am Münchner Residenztheater. Fast immer sind es die darstellenden und bildenden Künstler, die auf den Komponisten zukommen. Schön, wenn nun auch die Musik in Bewegung gerät.

Lenbachhaus München, Luisenstraße 33, im Rahmen des Kunstareal-Festes am Sonntag, 25. Juni 2017, 16 bis 20 Uhr, Eintritt frei.