München
Sinnentleerter Symbolismus

Die Eröffnung der Münchner Opernfestspiele mit "Pelléas et Mélisande" endet mit Buhrufen

29.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:08 Uhr

Handlungsferne Aktionen: Szene mit Elliot Madore (Pelléas) - Foto: Hösl

München (DK) Schön, dass die Bayerische Staatsoper einen der besten Sänger-Scouts der Opernwelt hat. Pål Moe gelang prompt die Zusammenstellung einer kaum besser vorstellbaren Besetzung für Debussys „Anti-Tristan“. Auch Dirigent Constantinos Carydis überzeugte mit dem Staatsorchester im Graben des Prinzregententheaters in einer anfangs feinsinnig lyrischen, dann zunehmend dramatischen Deutung der Partitur von „Pelléas et Mélisande“. Für sie alle uneingeschränkte „Bravi!“ – und ansonsten vehementes „Buh!“

München und die Tölzer Sängerknaben – das ist seit Jahrzehnten „eine Bank“: Solist Hanno Eilers sang den verloren-verängstigten Yniold vokal ganz sicher, ja bravourös. Neben den kleinen Partien von Geneviève (Okka von der Damerau), Arzt (Peter Lobert) und Hirt (Evgenij Kachurovsky) glänzten dann erstklassige Stimmen: Markus Eiche mit seinem markanten, rund und voll tönenden Bariton glaubte man den Königssohn Golaud, der eine verirrt-verlorene Kindfrau fürsorglich rettet, sich in dieses zarte Wesen verliebt, sie aber mit seiner herb strotzenden Männlichkeit nicht erfühlt, sie zu verlieren meint – und so in wütend rachsüchtige Eifersucht verfällt, die mit dem Brudermord an Pelléas und Mélisandes Verlöschen endet. Etwas heller timbriert, sang Elliot Madore diesen Pelléas als einen anfangs unbekümmerten, dann zunehmend hingerissen-unbedacht liebenden jungen Mann.

Zwischen ihnen erklang der silberhelle, mädchenhaft schlanke Mélisande-Sopran von Elena Tsallagova wie eben ganz anders und wie nicht dazugehörend. Den stärksten Eindruck aber hinterließ Alistair Miles in der sonst eher blass bleibenden Rolle des alternden Königs Arkel: In seinen balsamischen Bass-Phrasen klangen Altersmilde, Realitätsferne und hilflose Güte ungekünstelt verschmolzen. All diese Stimmungen trug auch der von Dirigent Carydis differenziert geformte Orchesterklang. Zwar tönten die Chor-Melismen anfangs zu direkt von Irgendwo herein, doch die impressionistischen Schattierungen und zaghaften, wie unter Schleier klingenden Linien des ersten Teils steigerte Carydis dann doch mit drohendem Pauken-Donner hin zu einem leidenschaftlichen Liebesbekenntnis, zu wilder Mord-Dramatik und trostlosem Verklingen am Ende. Tutti Bravi!

Die schönste Spielszene lieferte Alistair Miles im Schlussapplaus für die Sänger: Wie schon durchweg zuvor als machtlos schleichender Alter griff er auch diesmal nach dem in allen Auftritten umhergetragenen Holzstuhl, trat mit ihm vor und verbeugte sich damit – Bravo-Rufe und schallendes Gelächter. Mit dieser ironischen Zugabe war die Inszenierung entlarvend charakterisiert. Regisseurin Christiane Pohle glaubte wohl – nach dem Theater der 1920er Jahre, nach Dada, Beckett, Schwitters, Cocteau bis herauf zu Ionesco – in einem vermeintlich neuen Theater des Absurden die noch nie da gewesene Nicht-Kommunikation erfinden zu müssen. Hinzuerfundene stumme Figuren führten aufwendige, handlungsferne, zu nichts führende Aktionen durch: sinnentleerter Symbolismus. Beziehungslos zueinander standen die modern gekleideten Solisten (Kostüme: Sara Kittelmann) in einer Mischung aus fertiger Hotel-Rezeption mit hereinragendem Rohbau und halb verdorrten Pflanzentöpfen herum (Bühne Maria-Alice Bahra).

Die Personenführung vermied jeden Bezug zum gesungenen Text; dementsprechend wurde Wagners berühmte Anweisung an seine Sänger von 1876 – „Nie dem Publikum etwas sagen, sondern immer dem Anderen“ – gezielt ins Gegenteil verkehrt und mit Ausnahme des Liebesbekenntnisses fast durchweg geradewegs ins Publikum gesungen. Das öde Spiel endete mit frontal auf Stühlen aufgereiht singenden Solisten und provokant ins Publikum schauenden Statisten. Wenn das à la Brechts „Glotzt nicht so . . .“ gemeint war, konnte man nur brechtisch antworten „Ne, nicht ‚romantisch’, sondern auf der Suche nach hochdramatischem, hochkommunikativem Theater!“ Zeit für eine andere Ästhetik in München.