München
Schwestern im Geiste?

In München läuft das Musical "Sister Act" noch ein paar Wochen eine gute Gelegenheit zum Austausch zwischen Kloster und Bühne

26.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:52 Uhr
Hektisches Leben auf der Bühne, Ruhe im Kloster: Die Schauspielerin Agnes Hilpert spielt in „Sister Act“ die Mutter Oberin. Mit einer echten Nonne würde sie niemals tauschen. −Foto: Brill

München (DK) Im Kloster heißen sie alle Mary - Mary Lazarus, Mary Robert, Mary Patrick - und sie brauchen ein bisschen frische Luft von draußen, damit sie in ihrer weltfremden Abgeschiedenheit nicht unter die Räder kommen. Doch ihr Kloster ist nur Kulisse und diese steht auf der Bühne des Deutschen Theaters. Dass die Atmosphäre der durch Whoopie Goldberg produzierten, bunt glitzernden "Sister-Act"-Bühnenversion dem echten Klosterleben nahekommt, wird kaum jemand glauben. Dennoch sagt Generaloberin Schwester Lucella (72) von den "Schwestern vom Göttlichen Erlöser", welche als Oberin dem Münchner Kloster "Herz Jesu" vorsteht, ihre Mitschwestern und sie selbst hätten sich großartig unterhalten bei der Premiere.

Der Bitte um ein Interview mit unserer Zeitung stimmt sie daher gerne zu, zumal sie sich freut, hier ihre Kollegin auf der Bühne kennenzulernen: Die Berliner Musicalsängerin und Schauspielerin Agnes Hilpert (48) spielt die Schwester Oberin, die sich mit der Schwierigkeit konfrontiert sieht, einer in Lebensgefahr geratenen Barsängerin und Ex-Geliebten eines Gangsters Exil anbieten zu müssen. Wie diese das Klosterleben aufmischt und aus dem mickrigen Chor ein swingendes Gospel-Wunder formt, hat viel Schwung - spart aber auch nicht mit freundlichem Spott gegenüber der asketischen Ordenswelt.

Für Schwester Lucella ist der größte Unterschied zwischen Bühne und Realität die Zurückgezogenheit, in welcher die Bühnen-Nonnen leben. Sie selbst und ihre zwölf Münchner Mischwestern halten zwar klösterliche Gemeinschaft mit festen Regeln und gemeinsamen Gebetszeiten, haben aber alle Brotberufe, die sie täglich nach außen führen. Sie arbeiten beispielsweise in dem Kinderhaus des Ordens oder als Übersetzerin. Ihre Gehälter fließen in eine gemeinsame Kasse, aus welcher wiederum die Ausgaben bestritten werden. Einer derart existenziellen Geldnot, wie sie die Nonnen auf der Bühne im Stück erleben, wäre somit schon mal der Riegel vorgeschoben, wenn auch Spendengelder wichtig bleiben.

Wenn Schwester Lucella das mit ihren klar aus dem Schleier leuchtenden Augen erklärt und betont, wie jede einzelne Schwester sich nach ihren Möglichkeiten individuell entwickeln kann, könnte man meinen, sie lebe in einer Frauenkommune. Tatsächlich hat ihr persönlich das Klosterleben viele Freiheiten eröffnet. Nahe Altötting geboren, haben ihr die dortigen Klosterschwestern schon als Kind imponiert: "Das waren Pionierinnen, kamen ab 1929 mit dem Fahrrad von Neuötting nach Reischach, um die Kranken zu betreuen. Später bekamen sie eine Wohnung im Ort und haben einen Kindergarten eröffnet, als diese Idee noch niemandem einleuchtete. Auch eine Nähschule haben sie gegründet, das war nach dem Krieg eine sehr wichtige Möglichkeit für die Frauen. Mit ihnen bin ich groß geworden, und als meine Berufsentscheidung anstand, nach einem sozialen Jahr und einer Ausbildung als Handarbeitslehrerin auch hängen geblieben."

Damals war sie 22 Jahre alt, und das Kloster bot ihr Möglichkeiten zur beruflichen Entfaltung, die in ihrem Elternhaus nicht offenstanden: Sie konnte die Begabtenprüfung ablegen, lernte zusammen mit indischen Schwestern in Irland Englisch, studierte Lehramt und machte letztlich Karriere.

Agnes Hilpert, eine Frau mit androgynen Zügen, die sich unter den Händen der Maskenbildner wie Wachs formen lassen, hört der Schwester aufmerksam zu - auch ihr beruflicher Weg, inspiriert durch die Tanzleidenschaft ihrer Mutter, war mehr Berufung als Beruf: "Aber natürlich gibt es für uns Theaterleute immer die Frage: Hubs. Jetzt habe ich kein Engagement. Wie geht es weiter? Für mich war hier die Vielseitigkeit ein guter Weg, ich konnte mal mehr tanzen, mal mehr spielen, habe auch unterrichtet oder Schulprojekte geleitet. Als meine Tochter jünger war, habe ich beispielsweise an einem kleinen Theater in Berlin gespielt, jetzt, seit sie größer ist, kann ich auch mal wieder auf Tournee gehen. Man leistet sicher immer wieder Verzicht, aber dann geht es doch auch weiter. Wichtig sind Menschen, die einen unterstützen", findet die Schauspielerin, und die Oberin nickt zustimmend. Die Nonnengemeinschaft in ihrer Vielseitigkeit, wie sie das Musical zeigt, findet sie gut getroffen: "So ähnlich ist das bei uns auch!" Die Schauspielerin ergänzt, dass die naturgemäß weibliche Besetzung des Stückes auch hinter der Bühne viel Spaß zusammen hat. Im Kloster, das Einrichtungen zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen unterstützt, arbeiten nur fünf Männer - diese aber an zentralen Stellen, berichtet die Schwester.

Und auf der Bühne? Ein paar Gangster, ein Polizist und ein Kardinal, zählt Hilpert auf. Sonst lauter tolle Frauen. Die Künstlerin war übrigens auch mal im Kloster, nicht als Vorbereitung für die Rolle, sondern um mal zur Ruhe zu kommen. Das Exerzitium bei Salzburger Kapuzinermönchen, ein Rückzug unter Schweigen hat sie sehr beeindruckt. Auch Schwester Lucella schätzt die "Zeiten und Orte des Schweigens", die das Klosterleben anbietet: "Das ist eine wertvolle Möglichkeit, das Leben intensiver wahrzunehmen, die Beziehung zu Gott, zu den Mitmenschen, zu den Dingen, zur Schöpfung - das Leben zu reflektieren und immer wieder zu ordnen."

Auch was die Rolle der Musik angeht, findet sie Parallelen: "Wir singen auch sehr viel und durchaus nicht nur Gebete", verrät die Oberin und lädt die Sängerin ein, unbedingt zum Tag der offenen Tür zu kommen, wenn sie doch schon mal in München ist. Doch bei aller herzlichen Sympathie: Tauschen würden beide Frauen ihre Arbeiten nicht einmal für eine einzige Stunde: "Ich würde nie und nimmer auf die Bühne gehen", sagt Schwester Lucella bestimmt - und auch die Schauspielerin schüttelt vehement den Kopf: "Ich hatte für meine Rolle sechs Wochen Vorbereitung - sie fast 50 Jahre! Also: Nein."

Nach dem Gespräch kommt noch eine E-Mail mit Ergänzungen, unterschrieben mit dem Namen der Münchner Oberin in ganzer Länge: Sr. Lucella M. Werkstetter. Das M steht für Maria. Ein Körnchen Wahrheit steckt wohl drin, in diesem Musical.

 

Das Musical "Sister Act" steht noch bis einschließlich 9. Juli auf dem Spielplan des Deutschen Theaters, Vorstellungen jeweils Dienstag bis Freitag um 19:30 Uhr, Samstag und Sonntag immer 14:30 Uhr und 19:30 Uhr.