München (DK) "Über das Hallen
Psalmen in Bilder übersetzt

Der "Haidholzener Psalter" im Jüdischen Gemeindezentrum

11.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:12 Uhr

Psalm 100 - "Schmettert IHM zu, alles Erdreich". Handpressendruck aus dem "Haidholzener Psalter" von Josua Reichert und Karl Neuwirth. - Foto: Israelitische Kultusgemeinde

München (DK) "Über das Hallen / der vielen herrischen Wasser, / der Meeresbrandungen / herrlich in der Höhe bis DU." Die Verse aus Psalm 93 loben in der Übersetzung von Martin Buber die Königsherrschaft Gottes. Wie lassen sich diese gedichteten Zeilen in ein Bild transferieren, das mehr zeigt als die Schrift? Wie lässt sich ein hebräischer Psalm-Vers in die Bildende Kunst "übersetzen"? Ein anspruchsvolles Unterfangen, das Karl Neuwirth und Josua Reichert ab 1974 wagten, indem sie ihr Wissen als Sprachwissenschaftler und als Künstler bündelten, um Psalm-Blätter zu gestalten.

Eine Auswahl der Handpressendrucke, die in vierzig Jahren entstanden, ist nun im Jüdischen Gemeindezentrum in München zu sehen.

Der 1943 geborene Philologe Karl Neuwirth durchleuchtete für seinen Freund, den 1937 geborenen Typographen Josua Reichert, den hebräischen Text in seiner ganzen Poesie und seinen Stilmitteln, seinen immanenten Bezügen und seinen augenfälligen Strukturen. Unter Zuhilfenahme von Buntstiften markierte Neuwirth Worte, Sätze und Absätze, um zu erklären, wie kunstvoll die Sprache den Inhalt im Wort spiegelt. Von diesen Erklärungen ausgehend entwickelte Reichert - Schüler des deutschen Grafikers HAP Grieshaber - ein Schriftblatt, das hebräische Schriftzeichen zeigt, aber auch Strukturen und farbige Flächen. Für den eingangs zitierten Psalm 93 wählt er die Farben des Wassers, von Grau über Grün bis zum hellen und dunkleren Blau - und damit gestaltet er Flächen und Linien auf dem Blatt. In die obere Hälfte des Hochformats setzt er den eigentlichen Text, in perfekter Harmonie vertikal und horizontal gegliedert in Dreiergruppen - ein Abbild der Vollkommenheit, die allein Gott zusteht.

Unvollkommen ist der Zyklus an Psalm-Blättern, weil er unvollendet bleiben muss - der Philologe Karl Neuwirth starb am 14. September 2016 in München, kurz nach der Eröffnung der Ausstellung. Rund hundert Blätter zu den 150 Psalmen konnten Reichert und Neuwirth zusammen gestalten, benannt nach dem Wohnort von Reichert: "Haidholzener Psalter". Für den hebräischen Text wählte der Künstler die von Eliyahu Koren entwickelte Drucktype "PENINIM", die im Blocksatz gut lesbar ist und eine optische Geschlossenheit gewährleistet. Jedes Blatt ist einzigartig - auch im Hinblick auf die Ideen, die darin verborgen sind. Das gilt vor allem für den Klagepsalm 120, über dessen hebräischen Text der Künstler ein großes dreifaches "Weh mir" in leuchtendem Gelb legt: auf Deutsch, auf Hebräisch und auf Arabisch: Die Brüder, die einander widersprechen, den Frieden brechen und sich damit von Gott abwenden, werden hier direkt angeredet von Schriftzeichen, die ins Auge springen und mahnen.

Die von Ellen Presser, Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, kuratierte Ausstellung ist Teil eines umfangreichen Veranstaltungsprogramms zum "Europäischen Tag der Jüdischen Kultur". Zum diesjährigen Thema "Jüdische Sprachen" finden bis zum 27. Oktober Vorträge, Buchpräsentationen und Filmvorführungen statt. Infos unter www.ikg-m.de/kulturzentrum/aktuell" class="more"%>/

Bis zum 7. November im Foyer des Jüdischen Gemeindezentrums, St.-Jakobs-Platz 18, montags bis donnerstags 15 bis 19 Uhr, geschlossen an jüdischen und gesetzlichen Feiertagen.