München
Pralles Leben auf Papier

Pinakothek der Moderne in München: Alltag und Mode in den Kupferstichen des Lucas van Leyden

08.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Weh und Ach: "Der Zahnarzt" von Lucas van Leyden, 1523, Kupferstich. - Foto: Staatliche Graphische Sammlung München

München (DK) Anmutig schreitet die junge Frau am Arm eines Galans in die Mitte eines Hains, wo Musikanten zum Tanz aufspielen. Ihre Kleidung verbirgt nicht die körperlichen Reize - und das gilt auch für die anderen Frauen, die am Boden lagern und Liebkosungen verteilen oder sich solche gefallen lassen. Jedoch hat die junge Frau im Zentrum einen leuchtenden Radius um ihren Kopf - und dieser Heiligenschein verweist darauf, dass sie als Büßerin dereinst Reue zeigen wird über ihr freizügiges Leben. Die ferne Zukunft ist auf einem fernen Berg zu sehen - dort heben Engel eben diese Frau in den Himmel, wie es von der Büßerin Magdalena in Legenden berichtet wird.

Der niederländische Kupferstecher Lucas van Leyden hat sich diese Szenerie ausgedacht, in deren Mittelgrund auch noch eine fröhliche Jagdgesellschaft zu sehen ist. Das pralle Leben auf Papier ist 40 Zentimeter breit - und die winzige Büßerin am Himmel kaum einen Zentimeter hoch. Das Beispiel zeigt, womit im 15. Jahrhundert ein Künstler Erfolg hatte: Biblische Szenen und fromme Legenden waren zwar Bildthema, aber im Vordergrund stehen die Zeitgenossen und ihr Treiben. In ihrer Fülle sind diese Szenen des Lucas van Leyden jetzt erstmals in München zu sehen - kuratiert wurde die Ausstellung der Graphischen Sammlung in der Pinakothek der Moderne von Susanne Wagini.

Über das Geburtsjahr des Künstlers streiten die Wissenschaftler: Entweder 1489 oder 1494 kam er im niederländischen Leiden zur Welt als Sohn eines Malers. Als gesichert gilt sein Todesjahr 1533. Er lernte zunächst bei seinem Vater und galt als "Wunderkind", da er schon mit neun Jahren seinen ersten Kupferstich gefertigt haben soll. In die Lehre ging er dann bei dem heimischen Maler Cornelis Engebrechtsz, und er entwickelte sich schließlich zum Meister des Kupferstichs unter dem Einfluss von Albrecht Dürer, den er 1521 in Antwerpen traf. Mit diesem tauschte er einen kompletten Satz seiner eigenen Kupferstiche gegen einige Grafiken des verehrten Meisters. Von seinen eigenen Werken sind etwa 20 Gemälde und 30 Zeichnungen erhalten - und eben die Kupferstiche, mit denen er berühmt wurde. Die Münchner Sammlung besitzt 237 Grafiken von ihm, von denen 59 jetzt in einer übersichtlichen Schau gezeigt werden.

Manche dieser Blätter könnten in der Tat aus einem Modejournal der Renaissance stammen - wenn es das damals schon gegeben hätte. Dabei ist die Kleidung wohl in weiten Teilen so dargestellt, wie sie damals getragen wurde und wie sie heutzutage auf der "Landshuter Hochzeit" wiederbelebt wird: Rüstung für den Oberkörper und Faltenrock mit Stiefeln für den Soldaten, geschlitzte Ärmel und kurze Beinkleider für den jungen Mann, der Edle mit Hut und weitem Mantel. Allein die Vielfalt der Kopfbedeckungen auf einem Blatt lässt fast vergessen, dass im Mittelgrund der Grafik der gefangene Christus durch Pilatus dem Volk vorgeführt wird. Hinzu kommen orientalisierte Gewänder mit Turban oder sogenanntem "Judenhut" - und alle formieren sich zu Gruppen, sind im Disput mit dem Nachbarn, und selbst die Kinder reden eifrig miteinander über das Spektakel. Zur Kunstfertigkeit der Menschendarstellungen kommt die Tiefenwirkung durch die architektonische Staffage.

Treppen steigen hinauf, Brüstungen begrenzen den Raum, Tore öffnen sich in den Hintergrund, Giebel von Häusern staffeln sich und geben dazwischen den Blick frei auf ferne Burgen. Lucas van Leyden war ein begnadeter Erzähler in seinen Kupferstichen. Und auch die Blätter in kleinerem Format laden zuweilen zum Schmunzeln ein: Da zeigt der fromme Hieronymus in seiner Studierstube auf einen Totenkopf und scheint zu sagen: "Auch ich gelehrter Mann muss einmal sterben!" Zugleich aber hat sich sein gezähmter Löwe - das Attribut des Heiligen - von hinten herangeschlichen und schleckt dem Mann wie eine Hauskatze die Zehen ab. Fantasie hatte dieser Künstler, und das ist sicher das Geheimnis seines Erfolges - über seine künstlerische Meisterschaft hinaus. Zu Fragen der Drucktechnik und der Qualität der Blätter informieren Vitrinen, die sogar eine gravierte Druckplatte zeigen. Und so wird diese Ausstellung mit einem informativen Handbuch als Katalog zu einem Vergnügen, das den Geist anregt.

Pinakothek der Moderne München, bis 24. September, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Weitere Informationen auch unter www.pinakothek.de" class="more"%>.