München
Nüchternheit oder Ironie?

"Die Neue Sachlichkeit": Das Münchner Lenbachhaus präsentiert zum Teil noch nie gezeigte, frisch restaurierte Arbeiten

29.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:24 Uhr

 

München (DK) Kurze Haare, weißes Hemd, schwarzes Jackett, die Hände in eng anliegenden Handschuhen – das kennzeichnet eine junge Frau, die allein an einem Wirtshaustisch sitzt. Sie verkörpert den neuen Frauentypus der 1920er Jahre. Die Malerin Lotte Laserstein wird mit diesem Gemälde von 1927 der „Neuen Sachlichkeit“ zugerechnet, und diese Stilrichtung stellt das Lenbachhaus in einem neu eingerichteten Raum vor.

Zusammengefasst werden die 25 Gemälde, einige Zeichnungen, vier Skulpturen und ein im Vorraum laufender Stummfilm unter dem Titel „Menschliches, Allzumenschliches“. Dies ist eine Anspielung auf ein Werk von Friedrich Nietzsche, der seine philosophischen Betrachtungen 1878 veröffentlichte – 1911 soll der junge deutsche Maler Otto Dix das Werk gelesen haben. Dix ist zusammen mit Georges Grosz eine feste Größe dieser Stilepoche in Deutschland, und da das Lenbachhaus kein Werk von ihnen besitzt, behilft man sich mit Leihgaben. Die übrigen Exponate sind zum Teil selten oder nie gezeigte Werke aus dem Depot und aus Privatbesitz. Das macht die Sache spannend – aber auch schwierig. Die große Frage ist, was diese Exponate eint – außer der Tatsache, dass sie in den 1920er Jahren entstanden.

Wie also liest man ein Gemälde wie das von Christian Schad mit dem Titel „Operation“? Da stehen drei Frauen und drei Männer um einen abgedeckten Körper. Auf den weißen Tüchern glänzt silbrig das Operationsbesteck, und im Mittelpunkt des Bildes leuchtet rot ein Organ. Sexuelle Assoziationen stellen sich auf Anhieb ein, erst der genaue Blick offenbart, dass eine vergleichsweise harmlose Blinddarm-Operation im Gang ist. Wie aber sind all diese ernst blickenden Menschen zu verstehen, die die Leinwände jener Zeit bevölkern? Warum hat Bertolt Brecht, wie ihn Rudolf Schlichter um 1926 malt, keinen Stift, sondern eine dicke Zigarre zwischen den Fingern? Warum hat der „Gefallene Soldat“, den Josef Scharl unter Stacheldraht bettet, ein Kindergesicht? Und wie erklärt sich der Stolz, mit dem „Der Korpsstudent“ 1927 seinen Schmiss und sein Pflaster zur Schau trägt – dargestellt von Willi Geiger?

Kuratorin Karin Althaus analysiert in kurzen Bildtexten, dass der nüchtern-realistische Malstil nichts über die politische Richtung des Malers und die Bewertung durch die Kunstkritik der Nazi-Zeit aussagt. Ein Maler wie Hermann Tiebert wurde zunehmend beliebt in der nationalsozialistischen Kunstszene, Josef Scharl dagegen wurde als „entartet“ diffamiert. Ungenau bleibt jede Definition der „Neuen Sachlichkeit“. Ja, angesichts der zusammengewürfelten Bilder verstärkt sich der Eindruck, dass der zur Schau gestellte Ernst in den Gesichtern nur vordergründige Bildaussage ist. Auf den zweiten Blick wird Ironie erkennbar, ja sogar Sarkasmus, mit dem die Künstler die Welt analysierten. Allen voran stellt Alfred Hawel vor Augen, welche multiple Persönlichkeit der Mensch um 1929 darstellte: Nicht weniger als 15 Selbstbildnisse fügt er zusammen zu einem „Gruppenbild“ des eigenen Ich. Denn Rollenverständnisse und gesellschaftliche Ordnung waren im Umbruch, als diese Bilder gemalt wurden.

Der Raum „Neue Sachlichkeit“ im Lenbachhaus ist mindestens bis Ende 2015 zu sehen. Geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, dienstags bis 21 Uhr.