München
Nostalgieshow als Turbo-Event

"On the Road": David Marton bringt Jack Kerouacs atemlose Reise auf die Bühne der Münchner Kammerspiele

29.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:25 Uhr

Rausch, Ekstase, Glück - davon träumte Jack Kerouac. Er reiste kreuz und quer durch Amerika und beschrieb seine Erlebnisse in dem Buch "On the Road". - Foto: Baltzer

München (DK) Unter ohrenbetäubendem Musiklärm wird auf alles eingedroschen, was sich in und vor der Blechhütte auf einem Ruinengrundstück (Bühnenbild: Amber Vandenhoeck) befindet: Tische, Stühle, Betten, Leitern, Kisten, alles wird zertrümmert.

Tabula rasa irgendwo in einem der zahlreichen Elendsviertel einer Stadt im Süden der USA. Doch bei der Zerstörung bleibt es nicht. Die Wutbürger besinnen und beruhigen sich, holen nach dem Krach mit Trommeln und Trompeten auch Saxofon, Gitarre und andere Musikinstrumente hervor und greifen virtuos in die Klavier- und Klavichordtasten. Los geht's mit einer Jamsession, die jedem Nachtclub zur Ehre gereicht. Sanfte Jazz- und Blues-Weisen erklingen, eine Sängerin intoniert ein Spiritual, und die Combo entführt das Publikum ins tiefste Harlem. Ein toller Anfang bei der ersten Premiere der neuen Spielzeit in den Münchner Kammerspielen mit der Bühnenbearbeitung von Jack Kerouacs "On the Road".

1957 erschienen, fungiert dieser autobiografische Roman als Manifest der Aufbruchsstimmung der Subkultur-Protestbürger der jungen Nachkriegsgeneration der USA. Dem vom Kapitalismus und vom ungebremsten Konsumdenken geprägten Establishment wollten die Beatniks ihre Individualität und die kritische Hinterfragung der in Konventionen erstarrten Gegenwart entgegensetzen. So stromerte auch Jack Kerouac (1912-1969), mittellos, aber voll Enthusiasmus durch den Süden und Westen der USA, um sein Ego vor der Vereinnahmung durch die Zivilisation und den vom Materialismus geprägten "american way of life" zu retten.

Die Schönheit der Natur und die Unwirtlichkeit der Städte zeigt er in seinem Roman auf, erzählt von durchzechten Nächten inklusive miesem Sex, berichtet von Drogenexzessen und zweifelhaften Freundschaften, von Geldknappheit, Hunger und Entbehrungen und schwärmt vom Genuss der grenzenlosen Freiheit auf den ihm schier endlos erscheinenden Highways. Ein kulturhistorisch interessantes Dokument der 1950er-Jahre, dessen wichtigste Kapitel der Regisseur David Marton nun in eine Bühnenfassung umgesetzt und mit passenden Jazzklängen ummantelt hat. Ein Musiktheater, bei dem die sieben Schauspielerinnen und Schauspieler nicht nur abwechselnd in die Rollen der von Kerouac geschilderten Figuren schlüpfen, sondern auch noch als tolle Musikband aufspielen: Alle-samt Doppelbegabungen wie Hassan Akkouch, Paul Brody, Daniel Dorsch, Jelena Kuljic, Julia Riedler, Michael Wilhelmi und Thomas Schmauser, der (nach Katja Bürkle und Anna Drexler) demnächst auch ans Residenztheater wechseln wird.

Jazz, Bebop, Blues - den Whiskey nicht zu vergessen - und intensives Bühnenspiel, eigentlich eine prima Kombination. Und doch ist dieses Crossover leider nur halb gelungen, da der Regisseur alles viel zu hektisch abschnurren lässt. Zwischen Kerouacs atemlos präsentierten Impressionen hätte wenigstens die Musik Ruhepausen zur Kontemplation setzen müssen. Aber auch hier leider nur Tempo und Gehetze. Eine Nostalgieshow aus den amerikanischen Fifties als allzu rasant abgenudeltes Turbo-Event. Eigentlich schade.

Die nächsten Vorstellungen sind am 1., 8., 15. und 26. Oktober. Kartentelefon: (089) 23 39 66 00.