München
Nackter Narziss vor dem Spiegel

Spannende Neuinszenierung von Albert Camus’ "Caligula" im Volkstheater München

03.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:21 Uhr

Beklemmend-fesselndes Spiel: Max Wagner als Caligula und Constanze Wächter als Caesonia in Lilja Rupprechts Neuinszenierung des Stückes „Caligula“ von Albert Camus. - Foto:Arno Declair

München (DK) Schrundig sind die Wände im Empfangszimmer des Diktators, und die grauweiße Farbe blättert bereits gewaltig von den schweren, hohen Portalen ab (Bühnenbild: Anne Ehrlich). Kein Zweifel: Der Palast Caligulas hat schon bessere und vor allem glänzendere Zeiten erlebt. Schließlich liegt ja auch Endzeitstimmung über dem letzten Regierungsjahr (41 n. Chr.) des römischen Kaisers. Und die Verschwörer hecken zwischen Tür und Angel bereits die Ermordung des verhassten Herrschers aus, während der Massenmörder im Größenwahn als nackter, lehmverschmierter Narziss im raumfüllenden Doppelspiegel sich immer noch sonnt.

Ungemein eindringlich und eindrucksvoll ist diese Eingangsszene der jungen, verheißungsvollen Regisseurin Lilja Rupprecht gelungen, die mit feinem Gespür für die Visualisierung restlos kaputter Seelen und der klugen Verwendung von Videos, Musik und Lichteffekten diesem reichlich sperrigen Stück Leben – und vor allem Spannung – eingehaucht hat. Als philosophischen Diskurs mit bisweilen reichlich papiernen Dialogen über die Geworfenheit des Menschen hat Albert Camus (1913-1960) dieses Drama über den römischen Diktator Caligula als Musterbeispiel des Existenzialismus der 1940er Jahre verfasst.

Uraufgeführt 1945 in Paris, ist „Caligula“ freilich mehr ein sprödes Thesentheater als ein vitales Schauspiel, in dem die Existenz des Menschen in all ihrer Absurdität und Widersprüchlichkeit thematisiert wird. Weshalb Camus den Caligula, den Protagonisten der Maßlosigkeit und der Menschenverachtung, auch zu der Erkenntnis kommen lässt: „Die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist nicht zu ertragen.“

Dabei war der römische Kaiser zunächst durchaus menschenfreundlich und gütig. Aber nach dem Tod seiner Schwester und Geliebten Drusilla siegt in ihm nach Trauer und Resignation die Hybris, seine Untertanen gnadenlos zu tyrannisieren und zu unterdrücken, da ihm sein eigenes Leben sinnlos erscheint, und damit auch das weitere Fortbestehen seines Volkes überflüssig. Willkürherrschaft samt rücksichtsloser Verfolgung und Ermordung tatsächlicher und vermeintlicher Gegner sind die Folgen, bis er nicht nur all seine Feinde, sondern auch noch seine wenigen verbliebenen Freunde umgebracht hat und sich – nach dem Schlussmonolog voll Selbsthass und Egoliebe – den finalen Todesstoß gibt.

Max Wagner spielt diesen schizophrenen Massenmörder und im Cäsarenwahn vereinsamten Despoten höchst überzeugend als einen anfangs geradezu schüchternen und scheuen Durchschnittsmenschen, der sich in den Machtrausch mehr und mehr hineinsteigert. Weshalb die Regisseurin ihn im Eingangsvideo denn auch über den Münchner Königsplatz, vorbei an den Fassaden von Glyptothek und Antikensammlung als Symbole des griechisch-humanistischen Menschenbildes, zu Adolf Hitlers ehemaligem „Führerbau“ gehen lässt. Und solch gleichnishaft-verstörende Filmeinblendungen, die das Philanthropische mit der Niedertracht verknüpfen und die überzeitliche Banalität des Bösen versinnbildlichen, gibt es in dieser scharfsinnigen Inszenierung mehr.

Ein überzeugendes Regiekonzept, zu dem sich die teils nur zart gezupften, teils breit ausgewalzten Geigenklänge (wunderschön gespielt von Sophia Pfisterer) ideal gesellen. Warum aber Caligulas Gefolgsleute als Verschwörer in den Schlussbildern in Ballett-Tütüs, mit weißen Küchenschürzen und Babylätzchen antreten müssen, lässt – als missglückter Brecht’scher Verfremdungseffekt – die ansonsten so hochintelligente Inszenierung schließlich ins Läppische abgleiten. Da nutzt dann der Totentanz als herrlich servierter albtraumhafter Showdown der Caligula-Fans und -Feinde (vor allem Constanze Wächter als verehrend-hassende Diktatorenbraut sowie Jean-Luc Bubert, Leon Pfaffenmüller und Alexander Duda in den Rollen der Patrizier) im verspiegelten Krematorium leider auch nicht mehr viel. Der Applaus des Premierenpublikums fiel denn auch etwas gedämpft aus. Trotzdem: Eine ungemein beklemmende Aufführung im Münchner Volkstheater ist diese Neuinszenierung auf jeden Fall.

Die nächsten Vorstellungen sind am 6., 12 und 21. Mai; Karten können unter der Telefonnummer (089) 5 23 46 55 bestellt werden.