München
Musik der trügerischen Hoffnung

Dirigent Kirill Petrenkos wird mit Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" an der Bayerischen Staatsoper gefeiert

30.11.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Tragische Satire: Misha Didyk (Sergej) und Anja Kampe (Katerina Lwowna Ismailowa). - Foto: Hösl

München (DK) Schostakowitschs Musikdrama "Lady Macbeth von Mzensk" von 1934 treibt das gern verdrängte Thema "Oper und Politik" mit vier Toten auf die Spitze. Das führte prompt zu einem von Stalin selbst angeordneten Aufführungsverbot und zur existenziellen Bedrohung des Komponisten.

Die im Werk entlarvten gesellschaftspolitischen Strukturen widersprachen diametral dem Leitbild des neuen sowjetischen Menschen: Die junge, arme, leidenschaftliche Katarina erhofft sich von der zwar angeordneten Einheirat in eine reiche Kaufmannsfamilie dennoch alles Glück; doch der unter dem Kuratel des herrschsüchtigen Patriarchen Boris stehende Ehemann Sinowi bleibt schwach, die Ehe kinderlos, und Boris demütigt Katarina roh, wo er nur kann; Katarina beginnt mit dem Arbeiter Sergej ein Verhältnis und vergiftet den alles durchschauenden Schwiegervater; als anschließend Sinowi den Ehebruch entdeckt, ermorden Sergej und Katarina auch ihn. Während beider Hochzeit wird die Leiche entdeckt; auf dem Marsch in die Verbannung betrügt Sergej Katarina mit einer jüngeren Gefangenen, woraufhin sich Katarina mit der Rivalin ins Wasser stürzt.

In dieser "tragischen Satire" von Männermacht bezüglich Besitz und zwischenmenschlichen Beziehungen zeigen Schostakowitsch und Kolibrettist Preis in teils drastischer Sprache auch die Arbeiterschaft als dumpfe Masse, die Religion in Form eines saufenden Popen und die Polizei als korruptionsbereite Apparatschiks. Erst im Schlussbild bekommt der Chor der Verdammten eine Klagemusik, die vom Elend der Verhältnisse anrührend tönt. Davor entlarvt auch die Musik: mit harten Orchesterschlägen, grellen Blechbläserattacken, grotesk stampfenden Rhythmen, vermeintlich lyrischen Einzelstimmen, die dann symphonisch hochbrodeln und abrupt enden. Kompositorisch steht vieles unvereint, durch eine kurze Pause getrennt und gewollt disparat nebeneinander - vertonte uneingelöste Hoffnungen, Versprechen und zwischenmenschliche Konfrontationen.

Mit Regisseur Harry Kupfer war sich Dirigent Kirill Petrenko einig, vor allem das Leid Katarinas herauszuarbeiten. Mit klarster Zeichengebung für eine sonst kaum zu erlebende Feinzeichnung modellierte Petrenko so das traurige Schlaflied Katarinas und hob etwa ganz sacht die Piano-Linie des Solo-Cellos hinüber zum Fagott. Im Kontrast forderte er mit geballter Faust dann die auch in vier Proszeniumslogen postierten Blechbläser zu wilden Fortissimo-Attacken bei den rüden Ausbrüchen von Vater Boris. Die Vielfalt von Schostakowitschs polystilistischer Partitur wurde weit wie selten aufgespannt, in engem Kontakt zu Solisten und dem differenziert agierenden und singenden Chor (Einstudierung: Sören Eckhoff). Die Hochspannung, die Petrenko vermittelte, entlud sich weniger in der "Pornophonie" der rüden Beischlafszene von Katarina und Sergej oder in der Passacaglia nach dem Giftmord, sondern in der wüst hochgejagten Hochzeitmusik, die Zwischenbeifall auslöste. Petrenko und das Staatsorchester: Bravissimi!

Diese expressive Vielfalt erreichte die Inszenierung nicht. Regisseur Kupfer hat sich von Hans Schavernoch in eine projizierte, heruntergewirtschaftete Fabrikhalle ein vielfältig bespielbares Metallstegkonstrukt bauen lassen. Die im Zentrum auf vier Stelzen stehende triste Schlafkammer der doch begehrenswert "reichen" Katarina mit einer Matratze auf Holzpaletten wird an Seilzügen mehrfach hochgefahren - nicht immer dramaturgisch sinnvoll. Auch die öde Weite des Steppenmarsches war von Metallstegen eingerahmt. Da mischten sich in Szene wie Personenregie realistisches Musiktheater mit Abstraktion nicht überzeugend.

Prompt sang Anja Kampe hoch engagiert, war aber weder eine "Tränen"-Katerina noch eine "Gänsehaut"-Lady-Macbeth. Das bis in den Nebenrollen perfekt besetzte Ensemble überragte Anatoli Kotschergas gekonnt rüder Boris. Der Sinowi-Tenor von Sergey Skorokhodov verstrahlte das, was dem Sergej von Misha Didyk an Macho-Ausstrahlung fehlte. Doch fasziniert von Petrenkos fulminanter Musikdramatik fand das Premierenpublikum alles bejubelnswert.

Weitere Aufführungen: 1., 4., 8., 11. Dezember. Kartentelefon: (089) 21 85 19 20.