München
Mit Lederhose in New York

Ausstellung zu Oskar Maria Graf und seinen Jahren im Exil

21.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Ein Mann wie ein Baum: Oscar Maria Graf war tief in die Tradition seiner bayerischen Heimat verwurzelt. - Foto: Moses/Stadtmuseum München

München (DK) Oskar Maria Graf - ein Mann wie ein Baum: Stefan Moses hat den Schriftsteller 1964 in einem Fichtenwald bei Berg fotografiert, und er hat damit ein Bild gefunden, das Graf entspricht. Denn neben seiner ganzen Leibesfülle und Größe wirken andere Menschen schmächtig und Möbelstücke zerbrechlich.

Deshalb ist das Zentrum der Ausstellung, die das Literaturhaus München dem Schriftsteller widmet, ein abstrahierter, kantiger und eckiger Baum aus Holzlatten - und diejenigen, die Graf erlebt haben, werden sich an das Jahr 1958 erinnern, als der Schriftsteller stolz und selbstbewusst die Münchner Honoratioren brüskierte.

Am 28. Juni vor 50 Jahren ist Graf gestorben, und zugleich feiert das Literaturhaus sein 20-jähriges Bestehen. Zwei Anlässe, dem "Hausheiligen" eine Schau zu widmen, die die Jahre des Exils in den Blick nimmt. Die Kuratorinnen Laura Mokrohs und Karolina Kühn tun dies entlang erstaunlich vieler originaler Exponate - nicht nur Typoskripte und Fotos, sondern auch persönliche Briefe von ihm, Amtsschreiben an ihn, verschiedene Ausweise des Exilanten, Porträt-Gemälde, Passagierlisten von Schiffsüberfahrten, Postkarten aus den USA. Nicht zuletzt stellen Filmsequenzen vom Straßenleben in New York und ein Stadtplan mit den "deutschen" Konditoreien und Gaststätten jenes Amerika vor Augen, das Brüder von Graf - wie viele Deutsche - in den 1920er-Jahren als "gelobtes Land" erlebten, als sie in Deutschland kein Auskommen hatten. Graf gründet dort ab 1943 seinen Stammtisch für Auswanderer.

Hat er nun Heimweh gehabt oder nicht? Die Ausstellung überlässt es den Besuchern, diese Frage zu beantworten. 1894 in Berg am Starnberger See geboren und ab 1921 Autor von zahlreichen Romanen und Erzählungen, verlässt er 1933 München in Richtung Wien, und mit Station in Brünn wandern er und seine jüdische Lebensgefährtin Mirjam Sachs schließlich nach New York aus. "Heimat ist Sprache ... und ein ererbter, unverlierbarer Lebensgestus", schreibt Graf 1961. Aber er poltert auch gegen die Münchner, "wo die Mehrheit so satt und zufrieden ist - ich könnte hier nicht atmen". Als man ihn 1958 zur 800-Jahr-Feier der Stadt ins frisch wiederaufgebaute Cuvilliés-Theater zu einer Lesung lädt, erregt er einen Skandal, weil er in kurzer Lederhose auftritt. Laudator Erich Kästner sagt erbost seine Rede ab, weil Graf sich nicht in die Kleiderordnung von Nachkriegsdeutschland fügen will.

Diese Lederhose, getragen, abgewetzt und fleckig, heute im Besitz der Enkelin, hat eine eigene Vitrine in der Ausstellung. Und sie verdeutlicht die Verwurzelung und das Selbstbewusstsein von Graf wie kein zweites Exponat. "Mein Auftreten in Lederhosen macht mich überall rasch populär, und geschäftlich ist das ungemein vorteilhaft", konstatiert er in einem Brief. Die anfangs erzwungene Distanz zur Heimat schärft auf Dauer seinen Blick, und so schreibt er in New York sein Meisterwerk "Das Leben meiner Mutter", dessen Erzählstil an Tolstoi geschult ist. Der russische Kollege hängt als Foto über seinem New Yorker Schreibtisch - in trauter Gemeinschaft mit Karl Marx und Goethe, Ludwig II. und Abraham Lincoln. Der Roman über die Mutter erscheint 1940 erstmals in einer (schlechten) Übersetzung in den USA, macht ihn in Europa berühmt und bringt ihm die Anerkennung von Thomas Mann ein.

Der Mann aber, der von 1938 bis 1958 gezwungen war, als Staatenloser in den USA zu leben, der als Kommunist galt und vom FBI überwacht wurde, erlangt schließlich nicht nur die amerikanische Staatsbürgerschaft, sondern erreicht auch, dass man dem Pazifisten beim Eid auf die Verfassung den Passus zur Landesverteidigung erlässt. Von der Landessprache hat er wohl nur wenige Floskeln beherrscht. Aber wie sagte Graf: "Heimat ist Sprache ...", und so findet er diese Heimat im Schreiben, im Sich-Erinnern, im Verfassen von Lebensgeschichten - auf Deutsch.

Bis 5. November im Literaturhaus München, geöffnet montags bis freitags 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21.30 Uhr, an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen 10 bis 18 Uhr.