München
Mikrokosmos Altenheim

Der packende Münchner "Polizeiruf 110: Nachtdienst" beschäftigt sich mit dem Pflegenotstand

05.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:11 Uhr

Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt, rechts) ist sich sicher, dass im Johannishof (Günter Spörrle) die Spurensicherung benötigt wird. - Foto: BR/Heiden

München (DK) "Da war alles voller Blut und der Mann war tot. Zack, ging ganz schnell", sprudelt es aus Elisabeth Strauß heraus. Hanns von Meuffels hört ihr in aller Ruhe zu. Eigentlich hat der Kommissar ja gerade Feierabend, raucht nur noch eine Zigarette vor dem Präsidium. Doch er ist der Gentleman unter den deutschen TV-Ermittlern. Eine alte Dame würde er nie irgendwo allein stehen lassen: "Wie kann ich Ihnen helfen, gnädige Frau" Und so bringt er die verwirrte 80-jährige Frau im Schlafrock, die ein Taxifahrer zum Kommissariat gebracht hatte, persönlich zum "flachen Haus", wie sie sagt. Ist ja nur ein kleiner Umweg, dann geht auch für von Meuffels ein anstrengender Tag zu Ende. Glaubt er. Denn das ist der Auftakt zu einer langen, bewegenden und dramatischen Nacht, die er notgedrungen im Altenpflegeheim namens "Johannishof" verbringen wird.

Der "Polizeiruf 110: Nachtdienst" ist der 13. Fall für den Kommissar in München. Kein Fall wie jeder andere. Einer, der von Meuffels an seine Grenzen bringt, zur schonungslosen Anklage an das Pflegesystem wird und ein schaurig-trauriges Finale zu bieten hat. Ariela Bogenberger (Grimme-Preise für "Marias letzte Reise" und "In aller Stille") und Astrid Ströher ("Im Tunnel") setzen auf die Einheit von Zeit, Raum und Handlung, beschäftigen sich über das (populäre) Transportmittel Krimi mit einem gesellschaftlich relevanten und brisanten Thema. Als Zuschauer wird man Zeuge des Pflegenotstands, des Umgangs mit alten Menschen im Pflegeheim - abgeschoben, angebunden, abgefertigt. Ein Pfleger formuliert so: "Es interessiert keinen, wie es euch hier geht."

Rainer Kaufmann hat dieses Kammerspiel im Mikrokosmos Altenheim inszeniert. Mal subtil, mal drastisch zeigt er Missstände, Zwänge des Pflegepersonals und Nöte der Heimbewohner. Da mag an manchen Stellen der moralische Zeigefinger etwas zu stark zu erkennen sein, doch insgesamt ist den Autorinnen und dem Regisseur ein aufrüttelnder Film gelungen, eine sprachlos und traurig stimmende Analyse, wie diese Gesellschaft mit ihren Alten umgeht.

Elisabeth Schwarz spielt mit Würde und Bravour die an Demenz leidende alte Dame, die den Kommissar quasi in den Johannishof lockt. Hat sie sich das alles nur eingebildet oder ist wirklich ein Mord geschehen? Vor Ort stellt sich heraus: Herr Urban ist tot, aber die Pfleger sprechen von einem Sturz. Von Meuffels entdeckt Blutspritzer an einem Bild. Etwas weit oben für einen Sturz. Was wirklich passiert ist und worin das alles schließlich mündet, das erzählt dieser Film eindrucksvoll, spannend und gänzlich ungeschönt.

Auch wenn noch zwei Krimis folgen bevor Matthias Brandt als "Polizeiruf 110"-Ermittler aufhört, man kann jetzt schon sagen, dieser von Meuffels wird fehlen. All seine Eigenschaften und Qualitäten zeigt er in diesem Drama einer Nacht: Er ist Moralist, Menschenfreund, geduldig, aber zielstrebig, verbeißt sich in diesen Fall, ist mal zornig, mal ironisch ("Lassen Sie Ihre Leute immer allein beim Sterben"), mal penetrant und mal charmant. Und dieser Fall nimmt ihn emotional mit, psychisch und physisch ermittelt er bis zur Erschöpfung, in wilden Träumen sieht er sich gar selbst als Heiminsasse.

Freunde klassischer Krimis dürften von "Nachtdienst" eher enttäuscht sein, wer sich aber auf diesen ungewöhnlichen, konzentriert erzählten und inszenierten Film einlässt, der wird belohnt. Ein Krimi, der nachwirkt. Ein größeres Lob kann man einem Krimi eigentlich nicht machen.

 

ARD, Sonntag, 20.25 Uhr.