München
Jeden Mittwoch freien Eintritt

Kunst aus Afrika, Traumwelten aus Europa: Am Wochenende wird in München die Pinakothek der Moderne wiedereröffnet

13.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:40 Uhr

 

München (DK) Wer Afrika sehen will, der muss seine Schuhe in der Hand tragen: Innovativ ist nicht nur die Architektur auf dem schwarzen Kontinent, sondern auch die Art ihrer Präsentation im Architekturmuseum der TU München. Die Ausstellung unter dem Titel „Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“ spielt sowohl mit den Worten „Afrika“ und „Architektur“ als auch mit einfachen Materialien. Dicke Platten aus brauner Pappe werden verarbeitet als Stellwand, als Sitzmöbel, als Präsentationstisch für Modelle und sogar als Fußboden, der zugleich eine Comic-Plattform ist. Und damit all dies in den vier Monaten Präsentationszeit keinen Schaden nimmt, müssen die Besucher in der Pinakothek der Moderne auf Socken wandeln.

Es ist die erste Ausstellung unter der Leitung des neuen Direktors Professor Andres Lepik, und es ist keine monologische Schau, sondern eine, die den Betrachter zur Stellungnahme auffordert – auf Wandzetteln ebenso wie bei einer abschließenden Meinungsumfrage. Und wer die Fotos, Videos, Zeichnungen und Modelle betrachtet, die 26 zeitgenössische Projekte in zehn Ländern der Subsahara vorstellen, dem springt die Grundfrage ins Auge: Kann Architektur die Gesellschaft verändern? Denn hier geht es nicht um private Traumhäuser oder ehrgeizige Architekten-Visionen. Vielmehr wird ein sozial engagiertes Bauen gezeigt, das lokale Bautraditionen aufnimmt und mit bescheidenen Materialien auskommt. Und eine Baukunst wird vorgestellt, die häufig die künftigen Nutzer am Prozess der Pla-nung und des Bauens beteiligt.

Seit 1996 steht im Artikel 26 der Verfassung von Südafrika: „Alle sollen Zugang zu angemessenem Wohnraum haben.“ Verblüffend einfach lässt sich Wohnungsbau umsetzen, indem man holzverstrebte Wände aus Sandsäcken „mauert“, wie dies in Kapstadt erprobt wurde. Mangelnden Baugrund für eine Schule im Slum gleicht in Nigeria die „schwimmende Schule“ aus, quasi ein Fachwerkhaus auf dem Wasser, zu dem die Kinder mit Booten kommen können. Und weil schmutziges Wasser in Rwanda die Lebenserwartung auf 49 Jahre senkte, wird das Regenwasser über das Dach eines neuen Frauenzentrums abgeleitet in eine Zisterne und von dort mit Solarkraft in den Wasserturm gepumpt. Die Lehmziegel für die perforierten Mauern haben die Frauen selbst mit Handpressen hergestellt.

Auch in Burkina Faso wird mit Lehmziegeln gebaut, unter der Leitung des Architekten Diébédo Francis Kéré. Er stammt aus dem Ort Gando, hat in Deutschland Architektur studiert und dann seinem Heimatort eine Schule geschenkt. In deren Ziegelwände hat er die großen Tonkrüge der Afrikanerinnen eingesetzt – mal zur Belüftung der Decke, mal als Regale in den Wänden. Das Geheimnis seines Erfolges ist die Weisheit, die vorhandenen Traditionen der Frauen in die Architektur zu integrieren, denn „die Frauen sind immer da, und wir müssen sie achten“ – dann gehört der Bau zu den Menschen, die ihn bewohnen, und dieser Bau gibt ihnen Identität und Würde. Kéré hat für seine Schule übrigens den begehrten Architekturpreis „Aga Khan Award“ erhalten und wird am 17. Oktober in der Pinakothek der Moderne über seine Ideen referieren (bis 12. Januar 2014).

Aus Nordafrika stammen Teppiche, die von der „Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich“ an zwei Orten im Museum gezeigt werden: Großformatige, gemusterte Teppiche aus Marokko im Erdgeschoss, monochrome Nomadenteppiche im Obergeschoss der Rotunde. Vor allem dort kommen dank der Oberlichtbeleuchtung die Farb- verläufe in der Wolle gut zur Geltung und erinnern den Kunstkenner an moderne Farb-feld-Malerei wie etwa bei Mark Rothko. Tatsächlich faszinierten marokkanische Teppiche im frühen 20. Jahrhundert Künstler wie Wassily Kandinsky, weil das islamische Verbot figürlicher Darstellung zu einem freien Umgang mit Farben und Formen führte, was der Entwicklung zur Abstraktion im Abendland entgegenkam. Die ausgestellten Teppiche stammen aus der Privatsammlung von Jürgen A. Adam und wurden im 20. Jahrhundert von marokkanischen Weberinnen hergestellt, die vor allem mit Wolle und Ziegenhaar arbeiteten, aber auch moderne Stoffreste aus Synthetik-Material in ihren Teppichen verwoben (bis 6. Januar 2014).

Ein Glanzlicht erwartet die Besucher der Gemäldesammlung: Neben den wieder eingerichteten Schauräumen werden in der Ausstellung „Traum-Bilder“ Werke gezeigt, die der Textilunternehmer Theo Worm- land (1907–1983) zusammengetragen hat. Die 70 Gemälde und Plastiken waren 30 Jahre lang eine Dauerleihgabe und gehen jetzt als Schenkung in den Besitz des Freistaates über. Oliver Kase hat als neuer Referent für die Klassische Moderne eine Schau zusammengestellt, die die Bilder kommunizieren lässt. Historische Fotos belegen, wie der Sammler Wormland in seiner Grünwalder Villa mit der Kunst lebte: Über dem Kamin ein Fries von Max Ernst, über dem Sofa die Werke der Surrealisten, darunter Hauptwerke von René Magritte. In der aktuellen Schau ist nun zu erleben, wie ein „Kopffüßler“ von Horst Antes mit seiner kantigen Körperlichkeit in einen Dialog tritt mit dem aufgeblasenen Präsidentenpaar von Fernando Botero. Ein eigener Raum ist dem Thema „Mutter“ gewidmet – von der Nähmaschine Konrad Klaphecks bis zum „Rätsel der Begierde“ von Salvador Dalí.

Breiten Raum nehmen schließlich jene Werke ein, die sich mit der Natur auseinandersetzen. Dabei wird spürbar, dass in Werken von Max Ernst eine Ambivalenz des Waldes sichtbar wird und ein romantisches Naturgefühl zum Ausdruck kommt, das den Betrachter von „Totem und Tabu“ in Abgründe schauen lässt. Die Welt wird löchrig – auch in den Plastiken von Bernhard Schultze (1915–2005) aus Maschendraht, Farbe, Stoff und Plastik. Eine durchdachte Ausstellungsarchitektur lenkt die Blicke auf Verwandtes, auch wenn die Entstehungszeiten der Werke Jahrzehnte durchmessen. Und Theo Wormland bekommt durch diese kluge Präsentation das Gesicht eines Sammlers, der – wie die düsteren Exponate vermuten lassen – über dem geschäftlichen Erfolg die Dunkelheit der Kriegs- und Nachkriegsjahre nicht vergessen hat (bis 26. Januar 2014).