München
In der falschen Oper

"Tannhäuser" in München: Regisseur Romeo Castellucci verheddert sich in einer abwegigen Leitmotiv-Dramaturgie

22.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:05 Uhr

München (DK) Was für ein Aufwand! Was für eine Perfektion! Und was für eine Gedankenarbeit - und doch alles umsonst. Bei Romeo Castelluccis Inszenierung von Richard Wagners Oper "Tannhäuser" für die Bayerische Staatsoper laufen die glanzvollen Bilder einfach ins Leere. "Tannhäuser" - ein gescheitertes Projekt.

Wenn da der musikalische Teil der Produktion nicht wäre. Selten konnte man die frühe Wagner-Oper mit einem derartigen Aufgebot an Sängerstars erleben. Und das Dirigat von Kirill Petrenkos ist ohnehin in seiner Suggestivität schier unübertrefflich. Eine Sternstunde.

Überschwängliche Begeisterung und Ärger entluden sich somit am Ende im Beifall des Publikums: Dirigent und Sänger wurden gefeiert, das Regieteam ging in einer einhelligen Buh-Orgie unter.

Dabei hat der italienische Künstler und Regisseur Castellucci durchaus einen treffenden Ansatz für die romantische Oper. Ähnlich wie Wagner in seiner Theatermusik will er das Regiekonzept mit Leitmotiven strukturieren. Aber genau das wird ihm zum Verhängnis. Zu weit hergeholt sind die Motive, zu beliebig die Ideen. Die Oper erstarrt in Schönheit, die Schauspieler werden im Korsett des Konzepts zur Staffage.

Bereits während Petrenko orgiastisch im Venusberg-Baccanal der Ouvertüre sinnliche Höhenflüge formt, marschieren barbusige, uniform langhaarige Amazonen im Gleichschritt über die Bühne und schießen Pfeile in ein Rundbild mit Auge. Das mag vieles bedeuten, lässt fast unendliche Assoziationsketten zu, von Luis Buñuels "Un chien andalou" bis zum Liebesgott Amor. Aber zum Verständnis der Oper trägt die Szene kaum bei.

Dann: Bei der Venusberg-Szene orientiert sich Castellucci an der 40 000 Jahre alten Venus von Hohefels mit ihren üppigen Formen: In einem Berg von Haut, Fleisch, Rundungen, Falten und Schleim manifestiert sich das Prinzip der Sinnlichkeit - bis zum Überdruss. Später sieht man die Sängerhalle auf der Wartburg als Pirouetten drehenden, zerfließenden Raum aus halb durchsichtigem Vorhangstoff.

Das letzte Bild ist eine Art düstere Gruft. Zwei Grabsteine mit den Aufschriften "Klaus" (für den Tannhäuser-Darsteller Klaus Florian Vogt) und "Anja" (für die Elisabeth-Darstellerin Harteros) stehen auf der Bühne. Während Tannhäuser von seiner vergeblichen Pilgerreise nach Rom erzählt, werden immer wieder deren Leichenplastiken auf die Grabsteine gelegt - erst im Zustand direkt nach Eintritt des Todes, über verschieden Verfallsstadien hinweg mit aufgeblähten Bäuchen, bis am Ende nur ein Häufchen Staub bleibt. Ein erschütterndes Gleichnis für die Vergänglichkeit des Lebens - aber ein unzulängliches Bild für den "Tannhäuser". Es ist, als befände sich der italienische Konzeptkünstler in der falschen Oper.

Der "Tannhäuser" wirkt wie aufgelöst in eine Serie von Kunstinstallationen, zusammengehalten durch die immer wiederkehrenden Motive Pfeil, Bogen, Erde, Feuer, Fleisch usw.

Das macht es den Sängern leicht, sich auf die Musik zu konzentrieren, eine ernst zu nehmende Personenführung findet ohnehin kaum statt.

Den größten Eindruck hinterlässt der Wolfram-von-Eschenbach-Darsteller Christian Gerhaher. Der grandiose Liedsänger, der vor wenigen Monaten erst beim Ingolstädter Konzertverein einen überwältigenden Eindruck hinterließ, scheint für eine Wagner-Partie auf den ersten Blick eher ungeeignet. Aber das Gegenteil ist wahr. Extrem textverständlich, bis in die feinsten Nuancen die Partie klug gestaltend und ohne all die üblich gewordenen Wagner-Sänger-Manierismen zu zelebrieren, gelingt Gerhaher eine exemplarische Deutung. Im letzten Akt hat er noch die Kraft, geradezu furchterregend voluminös zu singen.

Ein typischer Wagner-Tenor ist Tannhäuser-Darsteller Klaus Florian Vogt - und doch auch ungewöhnlich. Denn der ehemalige Hornist verfügt über ein knabenhaftes Timbre. Vogts Stimme ist in den vergangenen Jahren runder geworden, ausgeglichener, auch im Piano nun tragender und mit mehr Tiefe. Tannhäuser verleiht er überraschend viele lyrische Momente, ein erstaunlich vielschichtiges Erlebnis. Das genau kann man von Elena Pankratovas Venus nicht unbedingt behaupten, diese Partie ist eher eindimensional. Während Georg Zeppenfeld (Hermann) wieder zeigt, dass er einer der besten Bassisten der Welt ist, kann Anja Harteros nicht ganz überzeugen. Zu stark ist das Tremolo ihres Soprans. Dennoch singt sie immer wieder voller glutvoller Emotionalität.

Eine Glanzleistung findet im Orchestergraben statt. Petrenko ist diesmal nicht durchweg von toscaninihaftem Draufgängertum durchdrungen, sondern hat auch den Mut, etwa den Übergang von der Ouvertüre zur ersten Szene oder das Vorspiel zum dritten Aufzug mit süffiger Langsamkeit und leuchtenden Farben auszukosten, um dann wieder mit rasantem Überschwang das Ensemble voranzutreiben. Ein Dirigat, das so liebesverrückt, so unmittelbar ist, dass man die unterkühlte Intellektualität Castelluccis manchmal fast vergisst.

Weitere Termine: 25., 28. Mai; 4., 8. Juni; 9. Juli, 21.45: im Internet unter www.staatsoper.de/tv" class="more"%>