München
Gerhard Richters Geheimnis

Die Kunst, sich gut zu vermarkten: Das Schloss Herrenchiemsee zeigt in der Schau "Königsklasse III" Werke des Künstlers

19.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:17 Uhr

Bilder der Unschärfe: Gerhard Richters „Brigid Polk“ im Schloss Herrenchiemsee - Foto: Richter

München (DK) Zu den gefragtesten Malern auf dem Kunstmarkt zählt nach Andy Warhol, Pablo Picasso und Francis Bacon der 1932 in Dresden geborene Maler Gerhard Richter. Anfang dieses Jahres erbrachte ein abstraktes Bild von ihm im Auktionshaus Sotheby’s den Rekordpreis von 41 Millionen Euro. Ist ein solches Werk also nur noch eine sichere Kunst-Aktie, die man am Besten in einem Safe wegschließt? Das hieße, dass teure Bilder unsichtbar werden – für genießende Kunstfreunde ebenso wie für forschende Kunsthistoriker.

„Man kann sich kaum vorstellen, dass noch höhere Summen erzielt werden, wahrscheinlich ist es jedoch“, sagt Eva Kraus, die im Neuen Museum Nürnberg zum Jahreswechsel 2014/2015 eine Ausstellung mit 27 Richter-Bildern sowie einen Grafikzyklus aus dem Besitz des Künstlers zeigte. Es kamen 60 000 Besucher, denn „die Faszination, den teuersten lebenden Künstler zu sehen, ist natürlich ein Anreiz“, so Kraus. Aber „Richter selbst ist nicht begeistert von den astronomischen Preisen, zu denen seine Bilder gehandelt werden. Dies macht Ankäufe (beispielsweise für Institutionen) in Zukunft unmöglich“, so die Nürnberger Museumsleiterin.

Die Schenkung eines Richter-Gemäldes aus Privatbesitz an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wird damit zur Sensation: Vor dem Gemälde „Brigid Polk“ (1971) sagt Corinna Thierolf, Referentin für Kunst ab 1945 in der Pinakothek der Moderne, fast atemlos: „Es ist, als würden Sie ein Gold-Nugget bekommen!“ Und sie ergänzt: „Die Schenkenden möchten unbekannt bleiben. Es gibt wunderbare Menschen, die das Bedürfnis haben, etwas zu geben und zu teilen mit der Öffentlichkeit.“ Dem anonymen Bieter auf Auktionen, der Kunst im Safe einschließt, steht also ein anonymer Wohltäter gegenüber, der das Bild „Brigid Polk“ den Augen aller zur Verfügung stellt. Die Story dieses Bildes ist skurril: Brigid Polk, beste Freundin von Andy Warhol, posierte 1970 in einer Schwabinger Wohnung ihren nackten, fülligen Körper auf einer Kommode, über der das Gemälde „Badende“ von Gerhard Richter hing. Sie nimmt mehrere Polaroid-Fotos von dieser Situation auf – und diese inspirieren Richter zu sechs Gemälden; drei davon sind nun in der „Königsklasse III“ in Schloss Herrenchiemsee zu sehen.

Auf diesen Bildern „zeigt er uns einerseits etwas sehr deutlich, und andererseits hat er diese Technik, dass er mit dem Pinsel über die sehr realistisch gefassten Motive noch mal drübergeht und sie verschleiert“, so Corinna Thierolf. Genau diese Unschärfe des Bildes fasziniert, „weil es uns ein Geheimnis lässt. Wir sind bei aller Gewissheit, bei aller Informationsfülle, die wir haben, doch geprägt davon, dass wir nicht wissen, dass wir unsicher sind und, vor allen Dingen, dass wir das Geheimnis auch suchen als positive Kraft.“

Das Stilmerkmal der Unschärfe ist freilich nur eine Facette im Werk des Künstlers. „Richter hat sich immer wieder selbst neu erfunden“, resümiert Kraus nach der Retrospektive in Nürnberg. „Dies ist meines Erachtens neben seinem außerordentlichen malerischen Talent seine größte Qualität. Das Wort vom ,Stilbruch als Stilprinzip’ wurde zum erfolgreichsten Etikett seiner Malerei. Im Grunde handelt es sich um eine radikale Infrage-Stellung des Stilbegriffs.“

Warum aber hat Richter genau damit Erfolg? Corinna Thierolf sagt: „Man kann mit dem Satz von Andy Warhol antworten: ,Ein guter Künstler muss wohl auch ein guter Geschäftsmann sein.’ Und das gilt für Rubens ganz genauso wie für Andy Warhol, wie für Gerhard Richter.“ Und sie fährt fort: „Es ist ein romantischer Gedanke, dass ein Künstler in einer Eremitage lebt und dann eines Tages entdeckt wird. Was sind denn die Bilder anderes, als gerade der Versuch, zu kommunizieren? Und jeder Künstler weiß, dass er ein Teil des ganzen Kunstbetriebes ist. Da eine bestimmte Art und Weise zu entwickeln, um sich selbst mit zu vermarkten, das gehört tatsächlich schon immer dazu. Da können Sie auch Vasari lesen und verfolgen, wie das Leonardo gemacht hat.“