München
Ermordete Meister

"Never Walk Alone": Eine Ausstellung im Jüdischen Museum in München erinnert an jüdische Identitäten im Sport

28.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:34 Uhr

Der Läufer Ernst E. Simon. Berlin, um 1919. Leihgabe der Familie Simon, Israel. - Foto: Jüdisches Museum München

München (DK) Das Lied "You'll Never Walk Alone" (Du wirst nie alleine gehen) - hat "Karriere" im Sport gemacht: Der Song aus dem Musical "Carousel" wurde zur Hymne für Sportler, es wird gesungen zum Trost bei einer Niederlage oder gilt als maximale Unterstützung gegen Ende eines Spiels. "Never Walk Alone" ist darum auch eine Ausstellung betitelt, die jüdischen Identitäten im Sport nachspürt.

Kuratorin Jutta Fleckenstein ist es gelungen, im Jüdischen Museum München nicht nur durch Farbwahl und Icons optische Bezüge zu den Olympischen Spielen in München 1972 herzustellen. Nein, sie verwandelt eine gesamte Ausstellungsetage in ein Kicker-Feld mit überlebensgroßen Spielern.

Diese Ausstellungsarchitektur im zweiten Obergeschoss ist mehr als ein ins Auge springender Gag. Denn die Biografien, die Fleckenstein vorstellt, werden in Bezug gesetzt zu sportlichen Strategien. Als Beispiel für "präzise passen" stehen Julius und Hermann Baruch, die 1924 Europameister im Gewichtheben und Ringen wurden - ausgestellt sind ihre Medaillen. Beide wurden im KZ Buchenwald beziehungsweise Auschwitz ermordet.

Bereits 1910 wurde im Deutschen Alpenverein diskutiert, ob man nur Mitglieder akzeptieren könne, die "germanischer Abkunft" seien. Die Ausgrenzung von Deutschen jüdischer Herkunft begann, lange bevor Nationalsozialisten an der Macht waren. Umso heimtückischer ging man vor, als die Amerikaner mit dem Boykott der Olympischen Spiele in Berlin drohten. Die Leichtathletin Gretl Bergmann wurde 1933 aus dem Sportverein ausgeschlossen, emigrierte nach England, wurde aber zurückgeholt und in die Qualifizierungsrunde eingebunden.

Zwei Wochen vor Eröffnung der Spiele erhielt sie dann die Absage: "Sie werden aufgrund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben." Auf dieses Dokument klebte die Sportlerin eine Zeitungsnotiz mit der Nachricht, dass sie einen deutschen Rekord im Hochsprung aufgestellt habe. Sie geriet - so zeigt es das Spielfeld der Ausstellung - in die "Abseitsfalle". 2003 veröffentlichte sie ihre Erinnerungen, sie lebt heute zurückgezogen in New York.

Pokale und Fahnen, Leisten für Sportschuhe und Fotografien haben die Ausstellungsmacher bei privaten Leihgebern aufgespürt, um nach aufwendigen Recherche-Arbeiten Biografie für Biografie vor Augen zu stellen. So erfolgreich jüdische Sportler in ihren Disziplinen auch waren - vor allem der Boxsport wurde nach dem Ersten Weltkrieg immer beliebter -, so schwierig war es doch auf Dauer für Juden, Raum einzunehmen im Verein und in der Öffentlichkeit. Ein seltenes Dokument ist eine Filmaufnahme von 1947, als mehr als 50 jüdische Boxer aus Lagern für "Displaced Persons" bei einer Meisterschaft im Circus Krone antraten und dem jungen Hertzko Haft, einem polnischen Juden, eine Apollo-Bronze mit jiddischer Inschrift überreicht wurde: "Far dem besten jidiszn bokser, Minchen Januar 1947." Die Ausstellung dokumentiert diesen Erfolg unter dem Begriff "Konter".

Einen differenzierten Blick auf das Verhältnis zwischen Judentum und Sport versuchen Stellungnahmen und Dokumente, die in der ersten Etage in Kojen präsentiert werden. "Sport ist etwas Wunderbares, aber wir haben ihn nie geheiligt!", betont der Münchner Oberrabiner Shmuel Aharon Brodman - alternative Stellungnahmen seiner Kollegen sind in Hörstationen zu rezipieren. Die Fan-Artikel und Zeitungen, die ein nachgebautes Buben-Zimmer schmücken, dokumentieren freilich: Bis heute ist "Jude" eine Diffamierung unter Sportfans, die leider noch nicht ausgestorben ist - auch wenn sie als Aufschrift unter Fußball-Anhängern heute polizeilich geahndet wird.

Bis zum 7. Januar 2018 im Jüdischen Museum, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr.